Schwarzer Kuss Der Nacht
wenn ich behauptete, dass ich es nicht schade finde.«
Mai blieb ruhig. In ihr regte sich kein Funken Mitgefühl für ihn.
»Zu meiner Verteidigung möchte ich außerdem sagen«, fuhr er fort, »dass Ihre Kleidung ein bisschen … irreführend ist. Die meisten Frauen senden mit so einer Aufmachung eine Botschaft aus.«
»Ja, und in meinem Fall lautet die Botschaft, dass ich gerade erst in eine neue Wohnung gezogen bin und alles – ich meine wirklich
alles
– noch in Kartons verpackt ist. Als ich also den Anruf Ihrer Sekretärin erhielt, umgehend herzukommen oder Sie nicht mehr sprechen zu können, habe ich mir das Erste gegriffen, was ich finden konnte. Für mich hieß es, entweder in diesen Sachen oder gar nicht.«
Wieder bedachte er sie mit einem verwegenen Lächeln. »Dann bin ich aber heilfroh, dass Sie sich so entschieden haben!« Sie war nicht ganz sicher, was er damit sagen wollte, aber zum Glück erwartete er wohl auch nicht, dass sie etwas erwiderte. »Sie sind hier, um mich zu interviewen. Was möchten Sie wissen?«
Mai holte Notizbuch und Stift aus ihrer Tasche. »Ich habe einen Artikel darüber gelesen, wie Sie der Polizei im Fall der verschwundenen …«, Mai blickte in ihre Notizen, »… Rollins-Kinder halfen.«
Er überlegte. »Ja, ich erinnere mich an die Geschichte. Wir hatten Glück, dass wir die Kinder lebendig fanden.«
»In dem Artikel stand, dass Sie ins Geisterreich gingen.«
»Stimmt.«
»Mein Artikel hat mit Geistwanderungen und ihrem Zusammenhangmit Träumen und Alpträumen zu tun. Ich hoffe, dass Sie mir darüber etwas erzählen können.«
Ihre Frage schien ihn zu verwundern. »Na gut. Tja, wie Sie vielleicht wissen, ist Geistwandern die Fähigkeit, den eigenen Geist aus der körperlichen Form heraus auf eine spirituelle Ebene zu transportieren. Mein Volk kennt man unter dem Namen ›Los Paseantes de Espíritu‹, die Geistwanderer. Wir sind von Geburt an in der Lage, spirituelle Ebenen zu betreten, und werden auch von Geburt an gelehrt, wie wir diese Fähigkeit nutzen.«
In Mais Kopf tauchten Bilder von Hippies auf LSD auf, die von außerkörperlichen Erlebnissen faselten. »Wie ist das, wenn Ihr Geist außerhalb Ihres Körpers schwebt? Können Sie Ihren Körper sehen?«
Er lächelte. »In gewisser Weise. Stellen Sie sich vor, Zeit und Raum in unserem Universum wären wie der menschliche Körper. Wir haben die physische Form, den Körper als Ganzes, und dann all die Unterkategorien wie Organe, Blut, Muskeln und Gewebe. Aber wir haben auch das Denken mit seinen unterschiedlichen Ebenen, dem Bewussten und dem Unterbewussten. Die meisten Leute wissen, dass es noch weitere Ebenen gibt; manche haben sie sogar schon bereist oder zumindest passiert.«
Mai dachte an Lexi und Darius im Unsterblichenreich Ravenscroft und nickte.
»Die spirituelle Ebene gleicht eher den Dimensionen des Denkens – sie ist weniger greifbar, und wenn wir dort hingehen, nehmen wir unsere physische Form nicht mit.«
»Ich hatte keine Ahnung, dass es da draußen so viele Dimensionen gibt. Also, um die vermissten Teenager zu finden, sind Sie auf die spirituelle Ebene gegangen, und dann? Haben Sie nach ihren Gedanken gesucht?«
»Eigentlich mehr nach ihrer Restenergie.« Sie musste reichlich verständnislos dreingeblickt haben, denn er erklärte: »Okay, stellen Sie es sich folgendermaßen vor: Wenn Sie etwas berühren, hinterlassen Sie Fingerabdrücke. Zumeist können Sie sie gar nicht sehen, aber das heißt nicht, dass sie nicht da sind. Weil die spirituellen Ebenen mit den physischen verwoben sind, bewegen wir uns alle durch sie hindurch und lassen unsere Abdrücke zurück, nur dass diese hier aus Restenergie bestehen. Wenn ich auf der spirituellen Ebene bin, sehe ich die Restenergien von Menschen als Lichtmuster. Selbst nachdem jemand gekommen und wieder gegangen ist, bleibt seine Energiespur zurück, die sich mit der Zeit langsam auflöst.«
»Und die Teenager im letzten Jahr hinterließen Energiemuster?«
»Ja. Ein Vorteil war, dass ich wenige Stunden nach ihrer Entführung an die Stelle kam, an der sie verschleppt worden waren. Angst und Gewalt bilden starke Energiemuster, genau wie Thesas-Dämonen. Ich fing an dem Platz zu suchen an, von dem wir annahmen, die beiden wären dort entführt worden, und konnte dem Energiemuster direkt zum Friedhof folgen. Die Dämonen bereiteten einen Zauber vor, um die Kids zu opfern. Glücklicherweise waren wir rechtzeitig dort.«
»Was geschah mit den
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