Schwarzer Kuss Der Nacht
ich nicht, dass er mir zugehört hat.«
»Der Typ ist ein Idiot.«
Sie lachten beide, und wieder einmal stellte Mai fest, dass sie Sarah mochte. »Ich wollte mir gerade Abendbrot machen. Hast du Lust, mit mir zu essen?«
»Danke, lieber ein andermal, okay? Sobald Will verschwunden ist, muss ich wieder etwas tun. Aber lass dich von mir nicht abhalten, wenn dein Essen fertig ist.«
»Eigentlich wollte ich eben erst anfangen. Komm mit in die Küche, dann können wir quatschen, während ich koche.«
»Klar.«
Sarah folgte ihr in die Küche und lehnte am Tresen, während Mai Gemüse schnippelte.
»Und, wie läuft das Studium?«, erkundigte Mai sich.
»Super.« Ihr Tonfall wollte allerdings nicht zu dem Wort passen.
»Alles in Ordnung?«
Sarah seufzte. »Geht so. Ich habe dieses Semester einen Zusatzkurs belegt, und jetzt zeigt sich, dass ich dafür viel mehr tun muss, als ich gedacht habe. Ich bin total fertig und will nur noch, dass das Semester vorbei ist.«
»Machst du danach deinen Abschluss?«
»Nein, ich habe noch ein ganzes Jahr vor mir.«
»Aber du hast einen Monat lang Ferien, bis die Kurse wieder losgehen, oder? Das ist doch schön. Oder musst du den Monat über jobben?«
»Ich wünschte, ich würde es.«
Mai hielt inne und sah zu Sarah. »Du willst arbeiten?«
»Ich weiß, nenn mich ruhig verrückt«, antwortete Sarah lächelnd. »Nein, der Punkt ist, dass Jen zwei Jobs parallelmacht, damit ich aufs College gehen kann. Eigentlich braucht sie dringend einmal eine Pause, aber sie denkt, sie könne sich keinen Urlaub leisten. Ich habe ihr gesagt, dass ich auch jobben kann, was sie kategorisch ablehnt. Sie sagt, ich solle mich auf meinen Abschluss konzentrieren.«
»Wow!« Mai war beeindruckt. »Ich finde es toll, dass deine Schwester das für dich macht.«
»Ja, das ist es. Sie ist überhaupt klasse. Als wir unsere Eltern verloren, war ich dreizehn und Jenna neunzehn. Sie hat sofort die Schule abgebrochen und sich einen Job gesucht, mit dem sie uns beide ernähren konnte. Auf keinen Fall wollte sie, dass ich in einer Pflegefamilie lande. Nach der Highschool hatte ich eigentlich vor, auch zu arbeiten, aber sie bestand darauf, dass ich aufs College gehe.«
Das war wahre Zuneigung! »Deine Schwester liebt dich wirklich.«
»Ja, ich weiß. Trotzdem fühle ich mich mies, weil ich das Gefühl habe, sie wirft ihr Leben für mich weg.«
Mai hatte ihren Brokkoli fertig geschnitten und legte das Messer ab. »Rede doch einmal mit ihr. Erzähl ihr, wie du dich fühlst.«
»Habe ich schon versucht«, entgegnete Sarah frustriert. »Leider scheine ich irgendwie nie das Richtige zu sagen.«
»Wenn du willst, kann ich dir diverse Bücher zum Thema Verhandeln leihen. Ich habe sie mir gekauft, als ich anfing, freiberuflich zu arbeiten, weil ich lernen wollte, wie ich am besten mit Redakteuren verhandle. Bisher habe ich sie zwar noch nicht gelesen, aber in einem von den Büchern stehen sicher Tipps, wie du am besten mit deiner Schwester sprichst – falls du interessiert bist.«
Sarahs Augen leuchteten. »Absolut! Kann ich mir die Bücher einmal ansehen?«
»Ja, natürlich. Ich glaube, sie sind im Schlafzimmer. Ich sehe kurz nach.«
Sarah nickte. Alles war einen Versuch wert.
»Bin gleich wieder da.« Mai wischte sich ihre Hände an einem Handtuch ab und verschwand in dem kleinen Flur.
Derweil sah Sarah sich ein wenig im Wohnzimmer um. In den Regalen standen mehrere gerahmte Fotos und kleiner Schnickschnack. Ein Bild fiel ihr besonders auf. Es zeigte ein unglaublich gutaussehendes Paar mit einem Neugeborenen in den Armen. Sarah nahm den Rahmen, um es sich genauer anzusehen, als sie aus dem Augenwinkel eine Bewegung wahrzunehmen glaubte. Da sie dachte, Mai wäre wieder zurück, drehte sie sich um. Nein, sie war immer noch allein im Zimmer.
Wieder flackerte Licht. Wie es aussah, kam es vom Spiegel. Neugierig ging Sarah näher hin.
Etwas war merkwürdig an dem Spiegel. Hinter Sarahs Spiegelbild bewegte sich ein Schatten über das Glas. Es war beinahe, als befände er sich
hinter
dem Spiegel. Das war komisch und ein bisschen unheimlich.
»Ich habe sie«, rief Mai aus dem Schlafzimmer. Sarah drehte sich um.
Sie öffnete den Mund, um Mai wegen des Spiegels zu fragen, doch im selben Moment wurde sie von zwei Armen hinter sich gepackt. Sie wollte schreien, als um sie herum alles wegkippte. Dann hörte sie ein ekliges Sauggeräusch, dem ein kalter Luftschwall folgte.
Auf einmal war sie auf der anderen Seite
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