Schwarzer Kuss Der Nacht
gestern anrufen, aber … da kam etwas dazwischen. Und weil ich nicht noch einen Tag verstreichen lassen wollte, ohne mit dir zu reden, dachte ich, wir könnten vielleicht zusammen essen gehen, falls du willst.«
Sie lächelte. »Klingt gut. Du darfst mit mir feiern.«
»Ach ja? Und was feiern wir?«
»Ich habe den Artikel fertig, an dem ich gearbeitet habe,und ihn soeben an die
NYV
verkauft.« Sie war immer noch vollkommen aus dem Häuschen vor Glück.
»Du meinst die Story über Preston?« Nick hörte sich nicht annähernd so euphorisch an wie sie.
»Ja. Bald weiß die ganze Welt, was für ein Schwein er ist.«
»Ich dachte, du wolltest dich eine Weile bedeckt halten – zumindest bis Lennys Mörder gefunden ist.«
Ausgerechnet jetzt musste er ihr einen Dämpfer verpassen?! »Ich habe den Artikel gestern Abend zu Ende geschrieben und beschlossen, ihn zu verkaufen. Ich muss Rechnungen bezahlen, wie du dir vielleicht denken kannst.«
Ihre Hochstimmung verpuffte, und sie winkte sich ein Taxi heran.
»Mai«, begann Nick, »ich will lediglich, dass du vorbereitet bist, falls dir das Ding um die Ohren fliegt.«
»Ich weiß«, seufzte sie, als das Taxi vor ihr hielt. Sie stieg hinten ein und schloss die Tür.
»Warte kurz!«, bat sie Nick, nannte dem Fahrer ihre Adresse, lehnte sich zurück und sprach wieder in das Handy, wobei sie sich bemühte, optimistisch zu klingen. »Du machst dir zu viele Sorgen … Hey, was machen Sie denn?«, fragte sie, als der Fahrer plötzlich rechts ranfuhr und bremste. Ehe Mai auch nur begriff, was vor sich ging, wurden die hinteren Türen aufgerissen, und zwei Männer sprangen herein.
»Was ist bei dir los?«, wollte Nick wissen.
»Raus aus meinem Taxi, sofort!«, schrie Mai die beiden Typen an, die sie gar nicht wahrzunehmen schienen.
»Mai, was ist los?«, kam Nicks Stimme aus dem Handy und erregte die Aufmerksamkeit der beiden anderen. Der rechts von ihr entriss ihr das Telefon, ohne dass sie etwas dagegen tun konnte.
»Nick!«, schrie sie. »Hilfe!«
Eine Faust traf sie am Kinn, worauf der Schmerz von ihrem Kopf durch ihren ganzen Körper ausstrahlte. Einen Sekundenbruchteil lang dachte sie, sie würde ohnmächtig, doch das geschah nicht. Der Mann klappte das Handy zu und kappte Mais einzige Verbindung zu jemandem, der ihr helfen konnte.
»Was wollen Sie?«, erkundigte sie sich matt.
Die Männer saßen schweigend da, während das Taxi in Straßen einbog, die ihr weniger vertraut waren.
»Wo bringen Sie mich hin?«, fragte sie zittrig vor Angst.
»Das werden Sie noch früh genug sehen.«
»Mai!« Nick presste das Telefon an sein Ohr und lauschte angestrengt.
Eiskalte Furcht packte ihn. Einmal, im Central Park, hatte er sie retten können, doch gelang es ihm diesmal auch?
Der Knall eines Fausthiebs war deutlich zu hören gewesen, gefolgt von Mais Aufschrei, dann brach die Verbindung ab.
Wut und Verzweiflung regten sich in ihm, die er beide verdrängte, denn er musste vor allem Ruhe bewahren.
Er lief aus seinem Büro. »Ich habe einen Notfall«, informierte er im Vorüberlaufen seine Sekretärin.
Sie nickte nur. Sie arbeitete schon lange für ihn, und das hier war nicht der erste »Notfall«. Mit dem Aufzug fuhr er in den obersten Stock und nahm von dort die Treppe zum Dach.
Oben war niemand, der ihn sehen konnte, als er zum Geräteschuppen ging und Zahlen in das Kombinationsschloss eintippte. Keiner sah, wie er sich auszog und seine Sachen drinnen auf eine Kiste legte, oder wie er ein kurzes Rohr ergriff,in dem eine enge Nylonhose und Jacke aufgerollt waren, bevor er den Schuppen wieder verriegelte.
Und niemand sah, wie er sich in einen großen schwarzen Falken verwandelte.
Er brauchte einen kurzen Moment, um sich an seine neue Gestalt zu gewöhnen, dann packte er das Rohr mit seinen Krallen, breitete die Flügel aus und stieg in die Luft.
Das Gefühl von Freiheit, das er in dieser Gestalt stets genoss, beruhigte ihn ein wenig. Er flog zum Gebäude der
New York Voice
hinüber und zog von dort aus immer größere Kreise. Die Falkenaugen machten es möglich, dass er sogar die Ratten sah, die weit unter ihm im Müll wühlten. Die jedoch interessierten ihn nicht, denn er suchte das Ungeziefer, das Mai entführte.
Hunderte Taxen krochen durch die Straßen, und in jedem von ihnen konnte Mai gefangen sein. Unmöglich wäre er in der Lage, allen zu folgen. Er überlegte, was er täte, wäre er an Prestons Stelle, denn zweifellos steckte er hinter Mais
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