Schwarzer Kuss Der Nacht
Lasst uns in der Küche zusammenpacken. Heute Abend schläfst du schon in deiner neuen Wohnung.«
Mai war beinahe schwindlig vor Erleichterung. Von heute Abend an würde sie sich endlich wieder sicher fühlen!
Sechs Stunden später stand Mai in der Küche ihrer neuen Wohnung und schenkte kalte Getränke ein. In ihrem alten Apartment befand sich nichts mehr außer einigen schlechten Erinnerungen und einer Mülltüte, die der Vermieter entsorgen wollte.
Sie brachte die Gläser ins Wohnzimmer, wo Lexi und Darius warteten. Heather war bereits zum Flughafen unterwegs, denn sie wollte zu einem Hexenzirkeltreffen nach Seattle.
Nachdem sie den anderen ihre Drinks gegeben hatte, hockte Mai sich mit ihrer Cola light in ihren großen Sessel und trank einen Schluck. Mehrere Sekunden lang sagte niemand etwas, bis Lexi schließlich das Schweigen brach. »Möchtest du mir erzählen, was wirklich los ist?«
Fast hätte Mai ihre Cola ausgespuckt. »Was meinst du damit?«
Lexi stellte ihr Glas auf den Couchtisch und bedachte Mai mit einem dieser Blicke. »Ich kenne dich schon ziemlich lange. Du kannst manchmal impulsiv sein – aber plötzlich umziehen, mit einem laufenden Mietvertrag? Komm schon! Irgendetwas ist los. Warum erzählst du es uns nicht? Vielleicht können wir dir helfen.«
Mai überlegte, was sie antworten sollte. Sie könnte ihnen von Preston und Perone erzählen, aber von dem Überfall in ihrer Wohnung? Sie wusste doch nicht einmal, ob er real gewesen war.
»Du bist nicht allein, Mai. Du hast Freunde, denen nicht egal ist, wie es dir geht.«
Nein, egal war es ihnen wohl nicht, aber sie lebten nichtmehr hier. Sie waren nicht jederzeit in der Nähe. Abgesehen davon wollte Mai lieber allein mit dem Problem fertig werden.
Doch sie wusste, dass Lexi und Darius keine Ruhe geben würden, ehe sie ihnen nicht irgendetwas sagte. »Na schön. Ich glaube, dass in meine Wohnung eingebrochen wurde. Das Einzige, was sie mitgenommen haben, waren einige Notizen für eine Story, an der ich arbeite, sonst nichts.« Sie atmete tief durch. »Ich konnte nicht zur Polizei gehen, weil ich keine echten Beweise habe, aber ich habe Schiss gekriegt.« Das Beben in ihrer Stimme musste sie nicht spielen. »Deshalb wollte ich umziehen.«
Lexi betrachtete sie ruhig. »Okay. Das verstehe ich. Bist du sicher, dass sonst nichts ist?«
Nein, nichts Besonderes, bloß dass ich von einem imaginären Mann blutig geprügelt wurde. Ihr seht die Verletzungen nicht, weil … ähm, ich weiß nicht, wieso. Weil sie gar nicht da sind, nehme ich an. Und ich kann mich nicht entscheiden, ob das eine Art Todesmagie ist oder mein posttraumatisches Stresssyndrom wieder da ist.
Ja klar, das klang doch super! »Ehrlich, das ist alles«, versicherte Mai achselzuckend, als wollte sie es dabei bewenden lassen, und hoffte, dass Lexi nicht weiter drängte.
Was Lexi durchaus wollte, nur klingelte in diesem Moment ihr Handy. Mit einem leisen Fluch lächelte sie Mai entschuldigend an, hauchte ihr ein stummes »Entschuldige« zu und nahm das Gespräch an.
»Hi, Mom, w…«, begann Lexi, wurde jedoch sofort unterbrochen. Ihre Mutter plapperte so aufgeregt und laut ins Telefon, dass Mai fast verstehen konnte, was sie sagte.
»Aber, Mom, er ist ein Werwolf«, erklärte Lexi geduldig, sobald sie zu Wort kam. »Er muss die Gestalt wandeln.«
Dann lauschte sie wieder, ehe sie erwiderte: »Ich kann nichts dagegen machen, dass mein Sohn weiter ist als andere Kinder, Mom. Nein, ich finde es nicht ungewöhnlich, dass er das mit neun Monaten kann und nicht erst im Kleinkindalter. Okay, dann ist es eben ein bisschen komisch, aber auf Darius’ Seite gibt es reichlich Frühentwickler.«
Die Stimme aus dem Handy wurde lauter und aufgeregter.
»Tut mir leid, wenn er den anderen Kindern Angst macht.« Lexi verdrehte die Augen und knuffte ihren Ehemann, der zu lachen anfing. »Doch, Mom, ich nehme das ernst. Ich weiß bloß nicht, ob es so ein Drama ist. Ich meine, er ist unsterblich, was soll ihm schon groß passieren?« Sie seufzte. »Wirklich? So viel. Nein, das halte ich für keine gute Idee. Am besten machen wir sie damit nicht verrückt.« Sie lauschte wieder. »Ich weiß. Ja, Mom, niemand nimmt so viel Rücksicht auf dich, aber du bist auch keine Göttin. Du hast den Nil nicht blutrot gefärbt, bloß weil du sauer warst.« Nun folgte eine noch längere Pause. »Schon gut. Wir sind bald zurück.«
Lexi beendete das Gespräch und steckte ihr Handy wieder in die Tasche.
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