Schwarzer Mittwoch
Moment. Lawrence und sein Freund Gerry. Bei denen waren Fearby und sie auf einem Auge blind. Sie kannte weder Gerrys Familiennamen, noch wusste sie, wo er wohnte. Eines wusste sie allerdings doch: bachaufwärts, hatte Lawrence gesagt. Gerry lebte bachaufwärts, was bedeutete, dass er auf derselben Straßenseite wohnte wie Lawrence. Außerdem erinnerte sie sich daran, dass das kleine Flüsschen von rechts nach links floss, wenn man in Lawrences Garten mit dem Rücken zum Haus stand. Demnach musste Gerrys Haus also rechts davon liegen, aber nicht direkt daneben, sonst hätte Lawrence bestimmt gesagt, »mein Nachbar, der gleich nebenan wohnt«. Hatte er nicht davon gesprochen, dass nebenan Flüchtlinge lebten? Entschlossen stieg sie aus. Sie würde mit dem übernächsten Haus beginnen. Josef stieg ebenfalls aus.
»Ich schaffe das schon allein«, erklärte Frieda.
»Ich komme mit.«
Lawrence Dawes wohnte in Nummer acht. Frieda und Josef steuerten auf Nummer zwölf zu. Frieda läutete. Keine Reaktion. Sie läutete noch einmal.
»Niemand zu Hause«, stellte Josef fest.
Sie gingen wieder hinaus auf den Gehsteig und wandten sich der Nummer vierzehn zu.
»Warum machen wir das eigentlich?«, fragte Josef mit etwas ratloser Miene, nachdem Frieda geklingelt hatte, doch ehe sie antworten konnte, ging bereits die Tür auf, und vor ihnen stand eine weißhaarige alte Dame. Einen Moment lang wusste Frieda gar nicht, was sie sagen sollte, sie hatte sich nichts zurechtgelegt.
»Guten Tag«, begann sie schließlich, »ich soll etwas abgeben, für einen Freund von einem Freund von mir. Er heißt Gerry und müsste gut sechzig sein. Ich weiß, dass er in einem von diesen Häusern wohnt, bin mir aber nicht sicher, in welchem.«
»Das könnte Gerry Collier sein«, meinte die Frau.
»Anfang sechzig?«, hakte Frieda nach. »Braunes, schon etwas grau meliertes Haar?«
»Das klingt ganz nach ihm. Er lebt allein. In Nummer achtzehn.«
»Vielen Dank«, sagte Frieda.
Die Frau schloss die Tür. Frieda und Josef kehrten zum Lieferwagen zurück und stiegen ein. Frieda betrachtete das Haus. Eine zweistöckige Doppelhaushälfte mit grauem Kieselrauputz und Fensterrahmen aus Aluminium. Der Vorgarten wirkte ausgesprochen gepflegt. Über eine kleine Mauer aus weißem Stein hingen gelbe, blaue, rote und weiße Blumen.
»Und jetzt?«, fragte Josef.
»Warte einen Moment«, antwortete Frieda. »Ich überlege gerade, was wir tun sollen. Wir können …«
»Stopp!«, zischte Josef. »Sieh mal.«
Die Tür von Nummer achtzehn öffnete sich, und Gerry Collier kam heraus. Er war mit einer grauen Windjacke bekleidet und trug eine Einkaufstasche aus Kunststoff. Mit raschen Schritten eilte er in Richtung Gehsteig und dann die Straße entlang.
»Ich frage mich, ob wir ihm folgen sollen«, sagte Frieda.
»Ihm folgen?«, wiederholte Josef. »Das bringt doch nichts.«
»Da hast du wahrscheinlich recht. Vermutlich geht er nur einkaufen. Wir haben ein paar Minuten Zeit. Josef, kannst du mir helfen, in das Haus zu kommen?«
Josef starrte sie verblüfft an. Dann begann er übers ganze Gesicht zu strahlen.
»Du willst in das Haus einbrechen? Du, Frieda?«
»Aber ein bisschen flott.«
»Das ist kein Witz?«
»Es ist ganz und gar kein Witz.«
»Also gut, Frieda. Ich mache, was du sagst, und frage später.« Er griff nach seiner Werkzeugtasche. Nachdem er einen schweren Schraubenschlüssel und zwei Schraubenzieher herausgesucht hatte, stiegen sie aus und steuerten auf die Haustür von Nummer achtzehn zu.
»Wir müssen uns beeilen«, drängte Frieda, »und möglichst leise sein. Falls du das schaffst.«
Josef ließ prüfend die Finger über das Schloss gleiten. Offenbar besaß er für so etwas ein gewisses Fingerspitzengefühl.
»Was ist wichtiger, schnell oder leise?«, fragte er.
»Schnell.«
Josef schob einen der beiden Schraubenzieher in den Spalt zwischen Tür und Rahmen. Er verkantete ihn ein wenig, wodurch die Lücke etwas breiter wurde. Dann schob er den zweiten Schraubenzieher etwa dreißig Zentimeter weiter unten in den Spalt. Er warf einen Blick zu Frieda hinüber.
»Bereit?«
Frieda nickte. Sie sah ihn lautlos die Worte eins, zwei drei formen, woraufhin er die beiden Schraubenzieher ruckartig zu sich heranzog und sich gleichzeitig fest gegen die Tür lehnte. Man hörte etwas splittern, und die Tür schwang auf.
»Wohin jetzt?«, flüsterte Josef heiser.
Frieda überlegte einen Moment. Sie hatte das Haus von Lawrence Dawes gesehen. Was
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