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Schwarzer Mittwoch

Schwarzer Mittwoch

Titel: Schwarzer Mittwoch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
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Zigaretten hielt.
    Sie ging neben Sharon in die Hocke und schob ihr eine Hand unter den Ellbogen.
    »Können Sie aufstehen?«, fragte sie. »Lassen Sie mich helfen, kommen Sie.« Sie zog ihre Jacke aus und legte sie um den abgemagerten Oberkörper der jungen Frau. Ihre Rippen zeichneten sich deutlich ab, ebenso die Schlüsselbeine. Ihre Haut roch nach Fäulnis und Verwesung. »Kommen Sie, Sharon«, sagte Frieda in sanftem Ton. »Es ist vorbei, Sie sind in Sicherheit. Kommen Sie mit, raus aus diesem Loch.«
    Sie musste das Mädchen halb stützen, halb tragen – hinaus aus dem Keller, der ihre Folterkammer gewesen war, an Fearby vorbei und die Treppe hinauf ins Tageslicht, das bereits schwächer wurde. Trotzdem empfand Sharon es als so blendend hell, dass sie einen Schmerzenslaut ausstieß und sich vornüberbeugte, wobei sie fast wieder zu Boden ging und dabei hustend ein paar Tropfen erbrach. Frieda schleppte sie zur Tür, hinaus aus dem verfluchten Haus. Auf der Eingangstreppe setzte sie sie ab, damit sie erst einmal ein wenig frische Luft schnappen konnte.
    Josef folgte ihnen schwankend nach draußen. Frieda nahm ihren Baumwollschal ab und wickelte ihn Josef an der Stelle um den Hals, wo er immer noch stark blutete. Er machte Anstalten, sich ebenfalls auf der Treppe niederzulassen, doch Sharon zuckte vor ihm zurück.
    »Keine Angst«, beruhigte Frieda sie. »Dieser Mann tut niemandem etwas zuleide. Er hat Sie gerettet, Sharon. Wir verdanken ihm beide unser Leben.«
    »Ich war auf der Suche nach Lila«, wimmerte Sharon. »Ich wollte zu Lila.«
    »Ist schon gut. Lassen Sie sich Zeit mit dem Reden.«
    »Ist sie tot?«
    »Ja. Da bin ich mir sicher. Vermutlich hat sie die Wahrheit über ihren Vater herausgefunden, und deswegen hat er sie getötet. Aber Sie sind noch am Leben, Sharon, und in Sicherheit.«
    Frieda stellte sich neben die beiden. Aus dem Nachbargarten wehte der Duft von Geißblatt herüber, und drei Türen weiter entdeckte Frieda die alte Dame von vorhin, die gerade mit einem Schlauch ihren Vorgarten goss. Es war ein schöner Abend im späten Frühling. Ihr Blick wanderte die Straße entlang. Sie hielt nicht nur Ausschau nach dem blitzenden Blaulicht der Polizei und der Krankenwagen, sondern auch nach der Gestalt von Gerry Collier. Es war erst wenige Minuten her, dass sie und Josef ihn weggehen gesehen hatten, doch ihr kam es vor wie Stunden oder Tage – eine andere Welt. Die Haustür hinter ihnen war aufgebrochen, und unten im Keller lehnte die Leiche von Jim Fearby, dessen langjährige Mission nun zu Ende war.
    Endlich tauchten sie auf und brachten mit ihren Sirenen und Blaulichtern Unruhe in den milden Abend. Man konnte sie bereits hören, bevor sie zu sehen waren, und auch das blaue Licht kreiste schon über der Straße, bevor die Streifenwagen und Ambulanzen eintrafen. Mit quietschenden Reifen kamen sie zum Stehen, Männer und Frauen sprangen heraus, energische Stimmen erteilten Anweisungen oder riefen einander Informationen zu. Sanitäter beugten sich über die Verletzten, Tragbahren und Sauerstoffmasken wurden herbeigeschafft. Nachbarn versammelten sich entlang der Straße. Frieda schien es, als bildete ihr kleines Grüppchen plötzlich den Mittelpunkt einer Welt, die sich immer enger um sie zusammenzog.
    »Mein Name ist Frieda Klein«, hörte sie sich mit ruhiger, klarer Stimme sagen. »Von mir stammte der Notruf. Dieser verletzte Mann hier ist mein Freund Josef. Und das ist Sharon Gibbs, die seit Wochen als vermisst gilt. Sie wurde hier im Keller von dem Mann festgehalten, der gefesselt in der Diele liegt, Lawrence Dawes. Gehen Sie sorgsam mit ihr um, wer weiß, was sie alles durchgemacht hat. Ein zweiter Mann befindet sich noch auf freiem Fuß, Gerry Collier. Sie müssen ihn finden.«
    »Gerry Collier, sagen Sie?«
    »Ja. Ihm gehört dieses Haus. Außerdem werden sie drinnen auf die Leiche eines Mannes namens Jim Fearby stoßen. Für ihn kommt jede Hilfe zu spät.«
    Über ihr schwebten verschwommene, namenlose Gesichter, die überrascht den Mund aufrissen und sie mit großen Augen anstarrten. Jemand sagte etwas, doch Frieda ließ sich nicht aus dem Konzept bringen.
    »Im Garten werden Sie weitere Leichen finden.« Sie konnte nicht sagen, ob sie immer noch in ruhigem Ton sprach oder die Worte inzwischen laut ausrief, als stünde sie auf einer Kanzel. »Oder im Keller«, fügte sie hinzu.
    Sharon Gibbs wurde aus ihrer gekrümmten Sitzhaltung auf der Haustreppe behutsam auf eine Trage gehoben. Sie

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