Schwarzer Mittwoch
verdammt wichtig es ist, selbst über sein Leben zu bestimmen. Du hast Ted verraten, und mich hast du auch verraten. Das hast du getan!«
»Er hat seine Mutter getötet.«
»Aber das wollte er doch nicht!«
»Was man bestimmt berücksichtigen wird.«
»Ich gehe.«
»Wohin?
»Nach Hause. Mum mag ja eine Irre sein und das Haus ein Dreckloch, aber zumindest schickt sie meine Freunde nicht ins Gefängnis.«
»Chloë …«
»Das verzeih ich dir nie.«
Sie sagte sich, dass es vorbei sei. Sie war am Ende angekommen. Die fiebrige Hektik der vergangenen Wochen würde langsam nachlassen. Das seltsame Gefühl konnte sich legen, so wie auch die schlimmsten Blutergüsse irgendwann verblassen, bis nur noch ein schwaches Ziehen übrig bleibt, das für niemanden mehr sichtbar ist. Der Lennox-Mord war gelöst, die Lennox-Kinder waren in ihren unterschiedlichen Gefängnissen gelandet. Chloë war weg. Sie, Frieda, hatte ihre Freundschaft mit Karlsson verraten. Die verzweifelte Suche nach einem Mädchen, das sie nie persönlich gekannt hatte, war vorüber und kam ihr bereits vor wie ein Traum. Sie fragte sich, ob sie Fearby jemals wiedersehen würde – seine stechenden Augen und sein weißes Haar.
Sie begann aufzuräumen, stellte alles wieder dorthin zurück, wo es hingehörte, wischte Flecken von den Tischen und Arbeitsflächen und behandelte den kleinen Schachtisch neben dem Fenster mit einer Bienenwachspolitur. Am Nachmittag würde sie zu Thelma Scott gehen und ihren geistigen Putzkübel in den dunklen Brunnen der Gedanken tauchen. Aber danach konnte sie vielleicht eine alte Schachpartie nachspielen und verfolgen, wie die Holzfiguren sich klackend über das Brett bewegten, während im Haus wieder Stille herrschte. Sandy musste sie auch anrufen. In dem ganzen Durcheinander hatte sie völlig den Kontakt zu ihm verloren. Die beiden Tage in New York erschienen ihr weit weg und seltsam unwirklich. Jetzt gestattete sie sich endlich, daran zu denken, wie zärtlich er sie in jener Nacht im Arm gehalten und was er alles zu ihr gesagt hatte. Jetzt durfte sie sich endlich wieder daran erinnern.
Erinnern. Frieda war die Treppe schon halb oben, als sie mitten in der Bewegung erstarrte. Irgendeine Kleinigkeit war ihr in den Sinn gekommen und brachte schlagartig ihr Herz zum Rasen. Aber was? Fearby. Es hatte etwas mit Fearby und seiner letzten Nachricht zu tun, die er ihr auf die Mailbox gesprochen hatte, bevor er aus ihrem Leben verschwunden war. Frieda ließ sich auf die Treppenstufe sinken und versuchte, sich den genauen Wortlaut dieser Nachricht ins Gedächtnis zu rufen. Das meiste davon war nicht wichtig gewesen, aber er hatte allem Anschein nach eine Idee gehabt, die er für so vielversprechend hielt, dass er deswegen weitere Nachforschungen anstellen wollte. Er hatte gesagt, er wolle die Akten zu den Mädchen ein weiteres Mal durchgehen. Doch er hatte noch etwas gesagt: Dass sie bei denen auf einem Auge blind gewesen seien. Ja, und dass er ein weiteres Mal los wolle, um sich das noch einmal anzusehen.
Hatte sie noch etwas vergessen? Ja, dass sie den Motor nicht gehört hätten. Was sollte das denn heißen, Herrgott noch mal? Es klang nach einer leicht verrückten Metapher für die Art, wie der menschliche Verstand arbeitete. Frieda überlegte so krampfhaft, dass es fast wehtat. Nein, das war alles, abgesehen davon, dass er hinzugefügt hatte, er werde vorbeikommen und ihr berichten, was er herausgefunden habe. Das hörte sich nicht nach viel an. Die Akten der Mädchen. Wir waren bei denen auf einem Auge blind. Was meinte er damit? Inwiefern blind? Gab es irgendeine zusätzliche Verbindung, die sie übersehen hatten? Er hatte »wir« gesagt. Inwiefern konnten Fearby und sie hinsichtlich der Mädchen auf einem Auge blind gewesen sein? Sie sann über den Rest der Nachricht nach. Er wolle sich das noch einmal ansehen, hatte er gesagt. Noch einmal. Was hieß das? Wollte er ein weiteres Mal zur Familie eines der Mädchen? Das war zumindest denkbar.
Dann aber dachte Frieda: Nein. Seine Nachricht hatte aus drei Teilen bestanden. Die Mädchen. Dass »wir« bei denen auf einem Auge blind waren. Und dass er sich das noch einmal ansehen wollte. Das konnte eigentlich nur bedeuten, dass er ein weiteres Mal an einen Ort wollte, an dem sie gemeinsam gewesen waren.
Wollte er noch einmal zu dem Pferdegnadenhof, um mit Doherty zu sprechen? Nein, das ergab keinen Sinn. Dann hätte er das auch so konkret formuliert. Seine Nachricht klang eher nach
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