Schwarzer Mittwoch
wandte ihr verhärmtes, schmutziges Gesicht Frieda zu und blickte sie aus großen Augen flehend an. Als Nächstes wurde Lawrence Dawes aus dem Haus getragen, immer noch mit der Wäscheleine gefesselt. Seine zuckenden Lider öffneten sich kurz. Einen Moment starrten Frieda und er einander an, dann wandte er den Kopf ab.
»Kann bitte jemand Karlsson verständigen?«, fuhr Frieda fort.
»Karlsson?«
»Detective Chief Inspector Malcolm Karlsson.«
Eine Frau legte Josef eine Decke um die Schultern und befreite seinen Hals vorsichtig von Friedas blutigem Schal. Josef stand aus eigener Kraft auf, machte dabei aber einen sehr benommenen Eindruck. Seine kräftige Gestalt schwankte ein wenig, und seine Lippen wirkten völlig blutleer. Frieda umarmte ihn, wobei sie auf seinen verletzten Arm achtete, und drückte kurz den Kopf an seine Brust. Sie konnte sein Herz hämmern hören und roch seinen Schweiß und sein Blut.
»Bestimmt bist du ganz schnell wieder auf den Beinen«, sagte sie. »Das hast du gut gemacht, Josef.«
»Ich?«
»Ja. Ich werde es deinen Söhnen schreiben. Sie werden sehr stolz auf dich sein.«
»Stolz?«
»Ja, stolz.«
»Aber du …«
»Ich komme dich ganz bald besuchen.« Sie wandte sich an die Frau. »Wohin bringen Sie ihn?«
»Ins St. George’s.«
Dann war Josef weg, und Fearbys Leiche wurde aus dem Haus getragen. Obwohl sein Gesicht zugedeckt war, konnte Frieda sein feines weißes Haar sehen. Am anderen Ende lugten seine Füße unter der Decke hervor. Die Schuhe waren alt und abgetragen, und eines der Schuhbänder hing herab.
Die Krankenwagen fuhren davon, und plötzlich war sie allein. Auf der Straße versammelten sich immer mehr Schaulustige. Das Haus war erhellt von unnatürlich grellem Licht und erfüllt von Lärm und Stimmen, aber hier draußen vor der Tür, auf diesem kleinen Fleckchen Erde war sie endlich für sich. Hinter ihr klaffte die offene Tür wie ein stinkendes Maul. Sie konnte den widerlichen Gestank fast riechen.
»Frieda Klein?«
Vor ihr stand ein Mann. Im Gegenlicht sah sie nur eine Silhouette.
»Ja.«
»Ich muss dringend mit Ihnen sprechen. Ein paar Minuten brauche ich noch, dann bin ich bei Ihnen. Bitte warten Sie hier auf mich.«
Er ließ sie wieder allein. Ihr Handy klingelte. Sie warf einen Blick darauf – Sandy –, ging aber nicht ran. Nachdem es zu klingeln aufgehört hatte, schaltete sie es aus.
Ohne darüber nachzudenken, was sie tat, ging sie ins Haus. Niemand hielt sie auf oder schien sie zu bemerken. Durch die Hintertür trat sie in den Garten hinaus. Er hatte die gleiche Größe und Form wie der von Lawrence Dawes, und überall blühten Blumen. Es waren schöne, lieblich duftende Blumen: Pfingstrosen, Rosen, Fingerhut und hoch gewachsene Lupinen. Vielleicht zogen sie ihre Kraft aus den Leichen, ging Frieda durch den Kopf. Vielleicht wirkten sie deswegen so gesund und farbenprächtig. Sie lief die Rasenfläche entlang, vorbei an einem gepflegten Gemüsebeet, bis sie schließlich an dem seichten kleinen Flüsschen stand, dem River Wandle. Sie konnte die Kieselsteine auf seinem Grund erkennen, und ein paar winzige dunkle Fische. Hinter ihr toste der Lärm der Welt, aber hier gab es nur diesen dahinplätschernden Bach. Sie konnte sein leises Gurgeln hören. Eine Schwalbe schoss an ihr vorbei, jagte knapp über der Wasseroberfläche ein Stück dahin und stieg dann wieder hinauf in den Abendhimmel.
Frieda wollte nur noch nach Hause. Sie musste an etwas denken, das sie als Kind einmal gelesen hatte: Wenn du dich im Dschungel verirrst, dann suche dir ein Flüsschen und folge ihm flussabwärts, dann kommst du irgendwann an einen größeren Fluss oder ans Meer. Dieser kleine Bach würde sie nach Hause führen.
Sie zog ihre Sandalen aus, krempelte die Jeans hoch und stieg ins Wasser. Es war kühl, aber nicht kalt, und reichte ihr bis zu den Knöcheln. Vorsichtig watete sie sein steiniges Bett entlang, bis sie sich auf Höhe von Lawrence Dawes’ Garten befand. Dort hatten sie zusammen Tee getrunken, und er hatte ihr seinen kleinen Fluss gezeigt. Sie hörte noch seine sanfte, liebenswürdige Stimme: Wir haben oft kleine Papierschiffchen gebaut und sie in den Bach gesetzt. Dann haben wir zugesehen, wie sie davontrieben, und ich habe immer zu den Kindern gesagt, in drei Stunden würden die Schiffchen die Themse erreichen und dann, wenn die Gezeiten mitspielten, aufs Meer hinaussegeln.
Frieda durchquerte den Bach und stieg am anderen Ufer zu einem schmalen,
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