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Schwarzer Mittwoch

Schwarzer Mittwoch

Titel: Schwarzer Mittwoch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
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und der Pfad mündete in einen gepflasterten Fußweg. Neben Frieda ragte ein Zaun auf, und in einer Art Metallkäfig hing eine eiserne Glocke. Der Wandle hatte sie bis hierher geführt, wo er sein eigenes kleines Mündungsdelta bildete und sich schließlich in die große Wasserstraße der Themse ergoss. Frieda blieb stehen und blickte auf die Lichter der Stadt. Ihre Odyssee war zu Ende: Irgendwo in diesen funkelnden Lichtern lag ihr Zuhause.

61
    E s war keine Nacht zum Schlafen. Gedanken brannten in Friedas Gehirn, und hinter ihren Augen pulsierten Bilder. Mit geradem Rücken saß sie in ihrem Sessel und starrte in den leeren Kamin, wo sie den gepflegten Garten in Croydon sah. Dort rammten sie in dem Moment vermutlich Spaten in den lehmigen Boden und nahmen das Haus auseinander. Sie stellte sich die beiden vor, Dawes und Collier, wie sie zusammen im Garten saßen. Bei dem Gedanken wurde ihr so übel, dass sie die Augen schloss, doch die Bilder blieben. Sie hatte das Gefühl, dass noch immer der unangenehme Geruch der Lilien in der Luft hing.
    Schließlich erhob sie sich und ging nach oben. Sie schob den Stöpsel in die Wanne – Josefs Wanne –, drehte das Wasser auf und schüttete Badelotion hinein, bis es schäumte. Während sie ihre schmutzigen Sachen auszog und sich die Zähne putzte, vermied sie jeden Blick in den kleinen Spiegel über dem Waschbecken. Ihre Gliedmaßen fühlten sich an wie aus Blei, und ihre Haut brannte. Sie war völlig am Ende. Schließlich ließ sie sich in das duftende, sehr heiße Wasser sinken. Vielleicht konnte sie einfach die ganze Nacht so liegen bleiben. Ihr Haar trieb an der Wasseroberfläche, und in ihren Ohren rauschte das Blut.
    Als sie aus der Wanne stieg, war es zwar immer noch dunkel, aber am Horizont zeichnete sich bereits ein schwacher Lichtschein ab. Ein neuer Tag begann. Sie zog sich an und ging hinunter. Es gab einiges zu tun.
    Als Erstes brachte sie ein Telefonat hinter sich, das sie schon vor Tagen hätte führen sollen. Er ging nicht gleich ran, aber als er sich dann doch meldete, klang seine Stimme verschlafen.
    »Sandy?«
    »Frieda? Was ist los? Geht es dir gut?«
    »Ich glaube, nicht. Es tut mir leid.«
    »Moment.« Sie stellte sich vor, wie er sich aufsetzte und das Licht anmachte, ehe er weitersprach. »Was tut dir leid?«
    »Alles. Es tut mir so leid. Ich hätte mit dir darüber reden sollen.«
    »Worüber?«
    »Kannst du kommen?«
    »Ja, natürlich.«
    »Ich meine, sofort.«
    »Ja.«
    Das war eine der Eigenschaften, die sie so an ihm liebte: dass er eine solche Entscheidung traf, ohne zu zögern und ohne sie mit besorgten Fragen zu bombardieren, die sie sowieso nicht beantworten könnte – weil er genau wusste, dass sie niemals eine derartige Bitte an ihn richten würde, wenn sie sich nicht in höchster Not befände.
    »Danke«, antwortete sie nur.
    Sie kochte sich Kaffee – so stark, dass er richtig bitter schmeckte –, fütterte den Kater, goss die Pflanzen im Garten und atmete dabei in vollen Zügen den Duft der Hyazinthen und Kräuter ein. Dann schlüpfte sie in ihren Mantel und verließ das Haus. Es war ein frischer, feuchter Morgen. Später würde es warm und sonnig werden, ein schöner Frühlingstag. Die Läden waren alle noch geschlossen, aber aus der kleinen Bäckerei an der Ecke drang bereits der Duft frisch gebackenen Brotes. In den Wohnungen und Häusern gingen die Lichter an. Bei den Zeitungshändlern und an den kleinen Eckläden schepperten die Rollläden hoch. Aus einem vorbeischwankenden Bus starrte ein einziger Fahrgast. Ein Briefträger zog seinen roten Wagen hinter sich her. Die Großstadt London erwachte zu neuem Leben.
    Als Frieda Muswell Hill erreichte, warf sie einen Blick in ihren Stadtplan und bog dann in eine breite Wohnstraße mit lauter schönen Einzelhäusern ein. Nummer siebenundzwanzig. Von außen war das Ausmaß des Schadens nicht auf den ersten Blick zu erkennen. Sie registrierte lediglich ein paar geschwärzte Ziegelsteine, etwas verkohltes Holz, ein kaputtes Fenster im ersten Stock und – als sie näher kam – den beißenden Geruch, der sich sofort in ihrer Nase festsetzte. Zögernd ging sie den gekiesten Weg entlang, der durch den Vorgarten zum Haus führte, vorbei an einer Schale mit roten Tulpen, die den Brand überlebt hatten. Von dort aus konnte sie bereits durch das große Erkerfenster die Verheerung im Wohnzimmer erkennen. Sie stellte sich vor, wie das Feuer in Bradshaws ordentlichen Räumen Tische, Stühle,

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