Schwarzer Mittwoch
Ergebnis eines Angriffs, dessen Opfer er geworden war, als er eines Tages um sein Mittagessen anstand. Das hatte sich in der Anfangszeit seiner Haftstrafe abgespielt, als er ständig Drohungen und Misshandlungen ausgesetzt war. Seine Mithäftlinge rempelten ihn auf dem Gang an oder machten sich an seinem Essen zu schaffen, bis er schließlich zu seinem eigenen Schutz in Einzelhaft kam. Die Situation änderte sich erst langsam, als immer mehr Fragen laut wurden und die Kampagne begann, die hauptsächlich von Jim Fearby initiiert und dann auch am Laufen gehalten wurde. Ab diesem Zeitpunkt ließen Conleys Mithäftlinge ihn zunehmend in Ruhe oder wurden sogar richtig freundlich. Nach anfänglichem Zähneknirschen begegneten ihm inzwischen sogar die Wärter mit Mitgefühl.
Fearby saß Conley gegenüber wie so viele Male zuvor. Conley war so dick geworden, dass seine blutunterlaufenen Augen fast zwischen den Fleischfalten seines Gesichts verschwanden. Zwanghaft kratzte er an seinem linken Handrücken herum. Fearby lächelte. Alles war gut. Sie waren im Begriff zu gewinnen. Eigentlich sollten sie sich beide freuen.
»Hat Diana Sie besucht?«, fragte er.
Diana McKerrow war die Anwältin, die Conleys jüngste Berufung übernommen hatte. Anfangs hatte Fearby eng mit ihr zusammengearbeitet, denn er wusste schließlich mehr über den Fall als sonst jemand auf der Welt. Er kannte die Schwachstellen und sämtliche Leute, die damit zu tun hatten. Doch als die Sache dann immer erfolgversprechender wurde, hörte die Anwältin auf, ihn anzurufen, und war ihrerseits immer schwerer zu erreichen. Fearby versuchte, sich nichts daraus zu machen. Was zählte, war das Ergebnis, zumindest redete er sich das ein.
»Sie hat angerufen«, antwortete Conley, wobei er den Blick durch den Raum schweifen ließ, ohne Fearby auch nur ein einziges Mal richtig anzusehen.
»Hat sie Sie über den Stand der Dinge informiert?« Fearby sprach langsam und übertrieben deutlich, als hätte er es mit einem Kleinkind zu tun.
»Ja, ich glaube schon.«
»Es gibt lauter gute Nachrichten«, verkündete Fearby. »Inzwischen wurden alle Informationen über das gesetzeswidrige Verhör offengelegt.« Conley sah aus, als verstünde er nur Bahnhof. »Als die Polizei Sie damals aufgriff«, erklärte Fearby, »wurden Sie nicht angemessen verhört. Sie wurden nicht auf Ihre Recht hingewiesen, und man hat Ihnen auch die ganze Vorgehensweise nicht so erklärt, wie es eigentlich vorgeschrieben ist. Man hat keine Rücksicht genommen auf …«, Fearby hielt einen Moment inne und blickte sich um, am Nachbartisch saßen sich ein Mann und eine Frau schweigend gegenüber, »… Ihre besonderen Bedürfnisse. Das allein hätte schon ausgereicht, aber zusammengenommen mit den Informationen bezüglich Ihres Alibis, die von der Staatsanwaltschaft zurückgehalten wurden …«
Fearby brach ab. Der leere Blick seines Gegenübers sagte ihm, dass Conley ihm nicht mehr zuhörte.
»Sie brauchen sich nicht mit den Einzelheiten zu belasten«, beendete Fearby seine Erklärungen. »Ich wollte nur vorbeischauen und Ihnen sagen, dass ich weiß, was Sie all die Jahre durchgemacht haben. Diesen ganzen Mist, die ganze Scheiße. Keine Ahnung, wie Sie das geschafft haben. Aber nun brauchen Sie nur noch ein bisschen Geduld und Stärke, dann wird alles gut. Hören Sie, was ich sage?«
»Alles gut«, wiederholte Conley.
»Noch was«, sagte Fearby. »Ich wollte Sie wissen lassen, dass es gut für Sie aussieht, aber auch schwer sein wird. Im Fall einer Begnadigung bereiten sie einen monatelang auf die Freilassung vor. Man darf schon gelegentlich raus und Freiheit schnuppern, Spaziergänge im Park machen oder Ausflüge ans Meer, solche Sachen. Und wenn man dann draußen ist, lebt man noch eine Weile in einem Rehabilitationszentrum. Das ist so eine Art offene Anstalt, wo man noch unter Aufsicht steht. Davon haben Sie bestimmt schon gehört, oder?« Obwohl sein Gegenüber nickte, war Fearby nicht sicher, ob Conley ihm wirklich folgen konnte. »Aber für Sie wird es nicht so sein«, fuhr er fort. »Wenn das Berufungsgericht Ihre Verurteilung aufhebt, werden Sie noch in derselben Minute auf freien Fuß gesetzt und dürfen geradewegs zur Tür hinausmarschieren. Das wird nicht leicht für Sie. Sie sollten darauf vorbereitet sein.« Fearby wartete auf eine Reaktion, doch Conley blickte sich nur verwirrt um. »Ich bin heute hierhergekommen, um Ihnen zu sagen, dass ich Ihr Freund bin. Wie ich es immer schon
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