Schwarzer Mond: Roman
er verheilt. Ich entfernte die Klammern, und das Blut floss wieder durch die Vene, ohne jede undichte Stelle. Und später ...
als ich die Kugeln entfernte ... schien das Muskelgewebe sich vor meinen Augen nahtlos zu schließen.«
»Schien?«
»Nein, das ist eine Ausflucht«, gab Sonneford zu. »Es schloss sich vor meinen Augen. Unglaublich, aber ich sah es. Ich kann es nicht beweisen, Vater, aber ich weiß, dass die beiden Kugeln Tolks Brustbein und Rippe durchschlugen und zerschmetterten. Ich weiß, dass Knochensplitter verschiedene Blutgefäße durchstoßen haben müssen. Tödliche Schäden wurden angerichtet, müssen angerichtet worden sein. Aber als er auf dem Operationstisch lag, hatte sein Körper sich schon fast völlig geheilt. Die durchschlagenen Knochen waren zusammengewachsen. Die Mesenteriumarterie und die Interkostalvene waren anfangs sehr stark beschädigt - deshalb hat er in kurzer Zeit so viel Blut verloren; aber als ich ihn dann operierte, waren beide Blutgefäße bis auf jene kleinen Risse verheilt. Es hört sich verrückt an, aber wenn ich die Arterie nicht genäht hätte, wäre auch jenes letzte kleine Loch von allein verschwunden, davon bin ich überzeugt ... wie es bei der Vene der Fall war.«
»Was hielten Ihre Schwestern und Assistenten davon?«
»Das Eigenartige ist, dass wir ... nicht viel darüber gesprochen haben. So gut wie gar nicht. Vielleicht haben wir kaum ein Wort darüber verloren, weil ... nun ja, weil wir in einem rationalen Zeitalter leben, in dem Wunder etwas Inakzeptables sind.«
»Wie traurig, wenn das tatsächlich der Fall ist«, sagte Stefan.
In den Augen des Arztes verbarg sich immer noch Angst, als er fragte: »Vater, wenn es einen Gott gibt -was ich noch nicht zugebe -, warum sollte er diesen speziellen Polizisten retten?«
»Er ist ein guter Mensch.«
»Na und? Ich habe Hunderte guter Menschen sterben sehen. Warum sollte gerade dieser eine gerettet werden und keiner der anderen?«
Vater Wycazik zog einen Stuhl heran, um sich dicht neben den Chirurgen setzen zu können. »Sie waren sehr offen zu mir, Doktor, deshalb will ich es zu Ihnen ebenfalls sein. Ich spüre eine Kraft hinter diesen Ereignissen, die nicht menschlicher Natur ist. Das Eingreifen einer höheren Macht. Und dieses Eingreifen hat weniger mit Winton Tolk zu tun als vielmehr mit Brendan, jenem Mann ... jenem Priester, der sich in der Imbissstube als erster Tolks angenommen hat.«
Bennet Sonneford zwinkerte überrascht. »Oh ... Aber zu dieser Ansicht können Sie doch nur gelangt sein, wenn es ...«
»Wenn Brendan mit mindestens einem weiteren wundersamen Ereignis verknüpft ist«, vollendete Stefan seinen Satz.
Ohne Emmy Halbourgs Namen zu erwähnen, erzählte er Sonneford von den noch vor kurzem verkrüppelten Gliedern des Mädchens, die sich unerklärlicherweise plötzlich regenerierten.
Anstatt aus Stefans Worten Hoffnung zu schöpfen, wurde Sonnefords seltsame Verzweiflung nur noch größer.
Bestürzt über diese Reaktion, beschloss Vater Wycazik, den Stier bei den Hörnern zu packen.
»Doktor, vielleicht übersehe ich etwas, aber ich persönlich glaube, dass Sie allen Grund zur Freude haben. Sie durften persönlich Zeuge sein, wie Gottes Hand am Werk war.« Er streckte Sonneford seine Hand hin und war nicht erstaunt, dass der Arzt sie fest umklammerte. »Bennet, weshalb sind Sie so verzagt?«
Sonneford räusperte sich. »Ich bin von Hause aus lutheranisch erzogen worden, aber seit 25 Jahren war ich Atheist. Und nun ...«
»Ah, ich verstehe ...«
Stefan machte sich glücklich daran, in dem mit Fischen dekorierten Zimmer nach Bennet Sonnefords Seele zu fischen. Er wusste noch nicht, dass seine Euphorie noch am gleichen Abend verfliegen, dass er noch eine bittere Enttäuschung erleben würde.
Reno, Nevada
Zeb Lomack hätte nie geglaubt, dass er seinem Leben durch Selbstmord an Weihnachten ein Ende setzen würde, aber als er an diesem Abend begriff, wie tief er gesunken war, sah er keinen anderen Ausweg mehr. Er lud seine Schrotflinte, legte sie auf den schmutzigen Küchentisch und schwor sich abzudrücken, falls er nicht imstande sein würde, noch vor Mitternacht den ganzen verdammten Mondkram zu beseitigen.
Die bizarre Faszination, die der Mond auf ihn ausübte, hatte im vorletzten Sommer begonnen, zunächst allerdings in harmloser Form. Gegen Ende August jenes Jahres hatte er sich angewöhnt, von der hinteren Veranda seines gemütlichen kleinen Hauses aus den Mond und die Sterne zu
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