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Schwarzer Mond: Roman

Schwarzer Mond: Roman

Titel: Schwarzer Mond: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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Arzt ausfindig zu machen, hätte sie längst etwas unternommen. Nachdem Marcie mittags vor Angst in die Hose gemacht hatte, war sie eine grässliche Viertelstunde lang nicht zu bewegen gewesen, sich waschen und umziehen zu lassen. Sie schrie, kratzte und trat mit den Füßen, sobald Jorja sich ihr näherte.
    Schließlich legte sich ihr Anfall, und sie ließ sich zu einem Bad überreden. Aber sie saß wie ein kleiner Zombie in der Wanne, mit ausdruckslosem Gesicht und leerem Blick, so als hätte der Ausbruch des Schreckens und Zorns sie nicht nur alle Kraft, sondern auch den Verstand gekostet.
    Dieser fast katatonische Zustand hielt eine Stunde an, während Jorja ein dutzendmal vergeblich versuchte, Dr. Besancourt telefonisch zu erreichen, den Kinderarzt, der Marcie schon einige Male behandelt hatte. Als Marys und Petes Bemühungen, dem verstörten Kind ein Lächeln oder wenigstens ein Wort zu entlocken, völlig erfolglos blieben, als Marcie sich benahm, als wäre sie plötzlich taubstumm geworden, fielen Jorja mit Schrecken halbvergessene Zeitschriftenberichte über autistis che Kinder ein. Sie konnte sich nicht daran erinnern, ob Autismus immer schon im Kleinkindalter begann oder ob es auch möglich war, dass ein völlig normales siebenjähriges Mädchen sich plötzlich total in sich zurückzog und die ganze übrige Welt ausschloss. Diese Ungewissheit machte Jorja fast wahnsinnig.
    Allmählich ließ Marcies Benommenheit jedoch nach. Sie begann, ihren Großeltern zu antworten, wenn auch sehr einsilbig und mit völlig ausdrucksloser Stimme, die Jorja kaum weniger beunruhigte als die wilden Schreie zuvor. Das Mädchen zog sich daumenlutschend -was es in den letzten zwei Jahren nie getan hatte - ins Wohnzimmer zurück und spielte den größten Teil des Nachmittags mit seinen Geschenken, freudlos und mit finsterem Gesicht. Aber Jorja war wenigstens erleichtert, dass ihre Tochter offensichtlich jedes Interesse an den Arztinstrumenten verloren hatte.
    Gegen halb fünf wurde Marcie plötzlich wieder ansprechbar und fröhlich, und mit ihrem unwiderstehlichen Charme gelang es ihr fast, bei den Erwachsenen den Eindruck zu erwecken, als wäre ihr erschreckendes Verhalten bei Tisch nur ein normaler Wutausbruch gewesen, wie er bei Kindern mitunter vorkommt.
    Auf dem Weg zum Auto sagte Jorjas Mutter dann auch leise, damit Marcie es nicht hören konnte, zu ihrer Tochter: »Sie will uns einfach zu verstehen geben, dass sie verwirrt und verletzt ist. Sie versteht nicht, warum ihr Vater nicht mehr bei euch ist, und sie braucht in dieser Situation besonders viel Aufmerksamkeit und Liebe.«
    Aber Jorja wusste, dass diese Erklärung nicht ausreichte. Sie zweifelte nicht daran, dass Marcie immer noch verstört über das Verhalten ihres Vaters war, dass sein Weggehen sie tief getroffen hatte. Aber daneben gab es noch etwas anderes, das an dem Kind nagte, irgendeine irrationale Angst - und das bereitete Jorja große Sorgen.
    Kurz nach dem Aufbruch ihrer Großeltern begann Marcie wieder mit jener unnatürlichen Intensität Doktor zu spielen, und als es Zeit zum Schlafengehen war, bestand sie darauf, die Tasche mit ins Bett zu nehmen. Jetzt lagen einige der Spielzeuginstrumente auf dem Boden, andere auf dem Nachttisch. Und in dem dunklen Schlafzimmer redete das Kind im Traum von Ärzten, Krankenschwestern und Nadeln.
    Jorja hätte nicht einschlafen können, selbst wenn ihre Tochter sich ganz ruhig verhalten hätte. Sorgen hielten sie immer besser wach als ein Dutzend Tassen Kaffee. Und da sie ohnehin nicht schlafen konnte, lauschte sie aufmerksam dem Gemurmel ihrer kleinen Tochter, in der Hoffnung, etwas Aufschlussreiches zu hören, das dem Arzt bei seiner Diagnose helfen könnte. Es war kurz nach zwei Uhr nachts, als Marcie endlich etwas flüsterte, das nichts mit Ärzten und langen spitzen Nadeln zu tun hatte.
    Unter heftigem Strampeln rollte das Mädchen vom Bauch auf den Rücken, schnappte keuchend nach Lauft und wurde plötzlich völlig starr.
    »Der Mond, der Mond, der Mond«, wisperte es mit einer Stimme, aus der Staunen und zugleich Angst herauszuhören waren, mit einer verzweifelten Eindringlichkeit, die Jorja verriet, dass diese Worte von großer Bedeutung sein mussten.
    »Der Mond, Mond, Mooooooond ...«

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