Schwarzer Mond: Roman
Dezember und am Sonntag, dem 29. Dezember, durchgeführt; jede dauerte vier Stunden. Pablo ließ sie die letzten neun Monate Tag für Tag noch einmal erleben, stieß dabei aber auf keine künstlichen Erinnerungen.
Am Sonntag regte Ginger auch an, er solle sie über Dominick Corvaisis befragen, den Schriftsteller, auf dessen Foto sie so heftig reagiert hatte. Als sie in tiefer Hypnose war und Pablo sicher sein konnte, dass er mit Gingers Unterbewusstsein redete, fragte er, ob sie Corvaisis je begegnet sei, und nach kurzem Zögern antwortete sie: »Ja.«
Pablo bohrte vorsichtig weiter, konnte aber kaum etwas aus ihr herausbekommen. Schließlich tauchte aber doch ein vager Erinnerungsfetzen auf: »Er warf mir Salz ins Gesicht.«
»Corvaisis hat Sie mit Salz beworfen? Weshalb denn?« fragte Pablo verwirrt.
»Ich ... kann mich ... nicht genau erinnern.«
»Wo ist das passiert?«
Sie runzelte die Stirn, und als er diesen Punkt weiter verfolgte, entzog sie sich seinen Fragen, indem sie in jenen erschreckenden komatösen Zustand versank. Pablo trat rasch den Rückzug an, bevor ihre Bewusstlosigkeit so gravierende Formen annehmen konnte wie beim erstenmal. Er versicherte ihr, dass er sie nicht weiter über Corvaisis befragen würde, und allmählich reagierte sie auf sein Versprechen.
Ohne jeden Zweifel hatte Ginger irgendwann Corvaisis' Bekanntschaft gemacht. Und diese Begegnung war verknüpft mit den Erinnerungen, die man ihr gestohlen hatte.
In den nächsten beiden Sitzungen -am Montag, dem 30. Dezember, und am Mittwoch, dem 1. Januar - ließ Pablo Ginger weitere acht Monate ihres Lebens noch einmal durchleben, bis Ende Juli des vorletzten Sommers, ohne irgendwelche hauchdünnen Erinnerungen zu entdecken, die auf das Werk von Spezialisten für geistige Beeinflussung hingedeutet hätten.
Am Donnerstag, dem 2. Januar, bat Ginger ihn, sie über ihren vergessenen Traum der letzten Nacht zu befragen. Zum viertenmal seit Weihnachten hatte sie im Schlaf >Der Mond!< geschrieen, so laut und eindringlich, dass andere davon erwacht waren.
»Ich glaube, der Traum spielt sich an jenem Ort und zu jener Zeit ab, die mir geraubt wurden. Vielleicht werden wir etwas darüber erfahren, wenn Sie mich in Trance versetzen.«
Aber in der Hypnose weigerte sie sich, Fragen zu ihrem Traum der letzten Nacht zu beantworten. Sie fiel in einen tieferen Schlaf als jenen der hypnotischen Trance. Pablo hatte wieder den Asrael-Drücker ausgelöst - ein sicherer Beweis dafür, dass jene verbotenen Erinnerungen sie im Traum heimsuchten.
Am Freitag kamen sie nicht zusammen. Pablo benötigte diesen Tag, um über Gedächtnisblockaden aller Art nachzulesen und um sich über die weitere Vorgehensweise klarzuwerden.
Außerdem hatte er alle fünf Sitzungen nach Weihnachten auf Kassetten aufgenommen, die er nun in seinem Arbeitszimmer stundenlang abhörte. Er suchte nach einem Wort oder einer Nuance in Gingers Stimme, die irgendeine Antwort bedeutsamer erscheinen lassen würde, als ihm bei der Hypnose aufgefallen war.
Er fand nichts besonders Bemerkenswertes, stellte jedoch fest, dass ihre Stimme einen etwas ängstlichen Beiklang bekommen hatte, als sie bei ihrer Reise durch die Vergangenheit beim 31. August des vorletzten Jahres angelangt waren. Es waren keine dramatischen Veränderungen, und während der betreffenden Sitzung hatte er nichts davon bemerkt. Als er nun aber mit Hilfe der Schnellvorlauftaste nacheinander in sämtliche Kassetten hineinhörte, fiel ihm ihre stetig zunehmende Angst auf, und er vermu tete, dass sie sich jenem Ereignis näherten, welches hinter der Asrael-Blockierung verborgen war.
Deshalb war er auch nicht überrascht, als bei ihrer sechsten Sitzung nach Weihnachten, am Samstag, dem 4. Januar, der Durchbruch kam. Ginger saß wie immer in einem der Sessel am Fenster; draußen fiel leichter Schnee. Ihre silberblonden Haare schimmerten. Als Pablo sie in den Juli des vorletzten Jahres zurückversetzte, zog sie die Augenbrauen zusammen, und ihre Stimme wurde immer leiser und angespannter. Pablo wusste, dass sie jetzt in unmittelbare Nähe ihrer vergessenen Qualen gerieten.
Nachdem sie ja rückwärts durch die Zeit reisten, hatte Ginger ihm in den bisherigen Sitzungen von ihren arbeitsreichen Monaten als Assistenzchirurgin am Memorial Hospital berichtet, und nun erlebte sie in Trance noch einmal Montag, den 30. Juli einen Tag, der mehr als siebzehn Monate zurücklag -, als sie ihre Arbeit bei George Hannaby aufgenommen hatte.
Weitere Kostenlose Bücher