Schwarzer Mond: Roman
Fenster. Die Windstöße erfolgten in regelmäßigen Abständen, so als wäre die Natur damit beschäftigt, die Nacht mit einem riesigen Blasebalg zu lüften. Brendan musste sogar im Traum den langsamen Pulsschlag des Windes wahrgenommen haben, denn als er im Schlaf zu reden begann, kamen die Worte im gleichen Rhythmus aus seinem Mund: »Der Mond ... der Mond ... der Mond ... der Mond ...«
Laguna Beach, Kalifornien
»Der Mond! Der Mond!«
Dominick Corvaisis erwachte von seinen eigenen angsterfüllten Schreien und von einem scharfen Schmerz im rechten Handgelenk. Es war dunkel, und er war auf Händen und Füßen neben seinem Bett und versuchte krampfhaft, sich von etwas loszureißen, das seinen rechten Arm umklammert hielt. Nach einigen Sekunden löste sich der Nebel des Schlafes auf, und er begriff, dass er von nichts Bedrohlicherem festgehalten wurde als von der Schnur, die er selbst um seine Hand geschlungen hatte.
Keuchend und mit rasendem Herzklopfen knipste er die Nachttischlampe an und blinzelte im hellen Licht. Er stellte fest, dass er im Schlaf und im Dunkeln einen der vier festen Knoten ganz und einen weiteren halb aufgelöst hatte. Dann musste er offensichtlich die Geduld verloren und in seiner Panik an der Schnur zu zerren und zu reißen begonnen haben - wie ein Tier an seiner Koppelleine. Dabei hatte er sich das Handgelenk schmerzhaft aufgeschürft.
Dom erhob sich vom Fußboden, schob die zerknüllten Decken beiseite und setzte sich auf die Bettkante.
Er wusste, dass er etwas geträumt hatte, konnte sich aber an den Traum überhaupt nicht erinnern. Er war jedoch ziemlich sicher, dass es nicht jener Alptraum gewesen war, den er im vergangenen Monat mehrmals gehabt hatte, weil darin der Mond keine Rolle spielte. Es musste diesmal ein anderer schrecklicher Traum gewesen sein.
Seine Schreie, die dazu beigetragen hatten, ihn zu wecken, hatten so eindringlich, so gehetzt, so angsterfüllt geklungen, dass er sie immer noch deutlich im Ohr hatte: »Der Mond! Der Mond!«
Ein Schauer überlief ihn, und er legte seine Hände an die pochenden Schläfen.
Der Mond. Was hatte das nur zu bedeuten?
Boston, Massachusetts
Ginger richtete sich mit einem schrillen Schrei im Bett auf.
Lavinia, die Haushälterin der Hannabys, sagte: »Oh, es tut mir leid, Dr. Weiss. Ich wollte Ihnen keine Angst einjagen. Sie hatten einen Alptraum.«
»Einen Alptraum?« Ginger konnte sich überhaupt nicht an einen Traum erinnern.
»O ja, und so wie es sich anhörte, muss es ein schlimmer Alptraum gewesen sein«, berichtete Lavinia. »Ich ging gerade den Korridor entlang, als ich Sie schreien hörte. Ich wollte gleich in Ihr Zimmer stürzen, aber dann fiel mir ein, dass Sie vermutlich träumten. Ich wartete etwas, aber als sie gar nicht wieder aufhören wollten, laut zu schreien, immer dieselben Worte, da dachte ich mir, es sei besser, Sie aufzuwecken.«
»Ich habe laut geschrieen? Was denn?«
»Immer und immer wieder >der Mond, der Mond, der Mond<», sagte die Haushälterin. »Es hörte sich so an, als hätten Sie wahnsinnige Angst.«
»Ich kann mich nicht daran erinnern.«
»>Der Mond< -das haben Sie immer wieder geschrieen«, versicherte Lavinia, »>der Mond<, mit einer Stimme, dass man meinen konnte, jemand würde Sie umbringen.«
TEIL I I - Tage der Entdeckunge n
Mut bedeutet, der Angst zu widerstehen, sie zu bewältigen nicht aber, keine Angst zu haben . Mark Twain
Hat dieses Leben einen Sinn? Welchen Zweck hat alles Streben? Woher kommen wir, wohin gehen wir? Diese kalten Fragen dröhnen und hallen durch jeden Tag, durch jede einsame Nacht. Wir sehnen uns danach, das herrliche Licht zu finden, dessen Strahlen uns den Sinn des menschlichen Traumes enthüllen werden. The Book of Counted Sorrows
Ein Freund kann durchaus als das Meisterwerk der Natur gelten. Ralph Waldo Emerson
KAPITEL IV: 26. DEZEMBER - 11. JANUAR
1. Boston, Massachusetts
Zwischen dem 27. Dezember und dem 5. Januar suchte Dr. Ginger Weiss Pablo Jackson sechsmal in seiner Wohnung auf. Bei jedem dieser Besuche hypnotisierte er sie, um sich behutsam und geduldig an die Asrael-Blockierung heranzutasten, die einen Teil ihrer Erinnerungen versiegelte.
Mit jedem Mal kam sie dem alten Bühnenkünstler noch bezaubernder vor -intelligent, charmant, zugleich aber auch mit einem erstaunlich starken Willen und großer Zähigkeit ausgestattet. Eine solche Frau hätte sich Pablo als Tochter gewünscht.
Ginger weckte in ihm väterliche Beschützergefühle, die
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