Schwarzer Mond: Roman
Ferngesehen«, sagte sie mit leiser, ausdrucksloser Stimme. »Sie haben sogar dort draußen auf den Ebenen gute Fernsehprogramme, weil sie ihren eigenen kleinen Satellitenempfänger auf dem Dach haben.«
»Was haben Sie sich im Fernsehen angeschaut?« fragte Pablo.
»Nachrichten. Filme.«
»Was für Filme?«
Sie zuckte zusammen. »Ich ... ich erinnere mich nicht daran.«
Pablo war überzeugt davon, dass sie sich nicht an diese Dinge erinnern konnte, weil sie sie in Wirklichkeit nie getan hatte. Sie war zweifellos in jenem Motel gewesen, denn sie konnte es in allen Einzelheiten beschreiben, aber sie konnte sich an keine Bücher und Fernsehsendungen erinnern, weil sie ihre Zeit nicht mit Lesen und Fernsehen verbracht hatte. Man hatte sie geschickt darauf programmiert, auf eventuelle Fragen diese Antworten zu geben, und man hatte sie sogar soweit beeinflusst, dass sie sich wirklich vage daran zu erinnern glaubte, aber das waren künstlich eingepflanzte Erinnerungen, die nur kaschieren sollten, was in jenem Motel tatsächlich vorgefallen war. Ein Spezialist für Gehirnwäsche konnte einem Menschen falsche Erinnerungen eingeben, aber selbst wenn er sich noch so viel Mühe gab und ein dichtes Netz von Einzelheiten miteinander verwob, klangen die künstlichen Erinnerungen nie so überzeugend wie echte.
»Wo haben Sie jeden Abend gegessen?«
»Im Tranquility Grille. Es ist ein kleines Restaurant, eher eine Imbissstube, und sie haben keine große Speisenauswahl, aber das Essen ist ganz ausgezeichnet.« Auch bei dieser Antwort hatte ihre Stimme einen völlig monotonen Klang.
»Was haben Sie dort gegessen?«
Sie zögerte. »Ich ... ich erinnere mich nicht daran.«
»Aber Sie sagten doch, das Essen sei ganz ausgezeichnet gewesen. Wie können Sie das beurteilen, wenn Sie gar nicht mehr wissen, was Sie gegessen haben?«
»Uhhh ... es ist ein kleines Restaurant, eher eine Imbissstube, und sie haben keine große Speisenauswahl.«
Je eindringlicher er nach Einzelheiten fragte, desto stärker versteifte sie sich. Ihre Stimme blieb ausdruckslos, während sie die einprogrammierten Antworten herunterleierte, aber ihr Gesicht verzerrte und verhärtete sich vor Angst.
Pablo hätte ihr sagen können, dass ihre Erinnerungen an diese vier Tage im Tranquility Motel falsch waren. Er hätte ihr befehlen können, sie aus ihrem Gedächtnis zu blasen, so wie man Staub von einem alten Buch bläst, und sie hätte es getan. Dann hätte er ihr erklären können, dass ihre echten Erinnerungen hinter einer Asrael-Blockierung eingemauert waren und dass sie diese Blockade zertrümmern müsse. Aber wenn er das getan hätte, wäre sie -entsprechend der Programmierung - in ein Koma gefallen -oder es wäre ihr noch Schlimmeres widerfahren. Es würde Tage, vielleicht sogar Wochen dauern, um winzige Risse zu entdecken und behutsam auszunutzen.
Diesmal begnügte er sich damit festzustellen, wieviel Stunden ihres Lebens man ihr genau gestohlen hatte. Er versetzte sie zum 6. Juli des vorletzten Jahres zurück, einem Freitag, und fragte, um welche Uhrzeit sie sich im Tranquility Motel eingetragen habe.
»Kurz nach acht abends.« Jetzt hatte sie nicht mehr jene hölzerne Stimme, denn dies waren echte Erinnerungen. »Es war noch eine Stunde bis zum Sonnenuntergang, aber ich war müde. Ich wollte nur etwas essen, duschen und zu Bett gehen.«
Sie beschrieb den Mann und die Frau an der Rezeption in allen Einzelheiten. Sie wusste sogar ihre Namen: Faye und Ernie.
»Nachdem Sie sich eingetragen hatten, aßen Sie im Tranquility Grille neben dem Motel zu Abend. Beschreiben Sie mir die Imbissstube.«
Sie kam seiner Aufforderung nach und schilderte detailliert das kleine Restaurant. Als er sie jedoch an den Zeitpunkt versetzte, da sie es wieder verlassen hatte, wurden ihre Erinnerungen wieder dünn und farblos. Für Pablo stand nun fest, dass das kritische Ereignis stattgefunden hatte, nachdem sie an jenem Freitagabend in die Imbissstube gegangen war, und dass ihr Gedächtnis bis zum folgenden Dienstag, als sie in Richtung Utah aufbrach, manipuliert worden war.
Pablo versetzte Ginger wieder in das kleine Restaurant zurück, um den genauen Zeitpunkt festzustellen, an dem die echten Erinnerungen endeten und die falschen begannen.
»Erzählen Sie mir alles über Ihr Abendessen an jenem Freitagabend, Minute für Minute, von dem Moment an, wo Sie es betraten.«
Ginger setzte sich aufrecht hin. Ihre Augen waren immer noch geschlossen, bewegten sich aber
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