Schwarzer Mond: Roman
deutlich sichtbar unter den Lidern, so als blickte sie beim Betreten der Imbissstube nach rechts und links. Sie öffnete die Fäuste und stand zu Pablos Erstaunen auf. Sie ging auf die Mitte des Zimmers zu. Er begleitete sie, um zu verhindern, dass sie gegen Möbel stieß. Sie wusste nicht, dass sie in seiner Wohnung war, sondern glaubte, sich zwischen den Tischen im Restaurant zu bewegen. Alle Anspannung und Angst waren von ihr gewichen, denn sie lebte jetzt völlig in jener Zeit, bevor ihre Probleme begonnen hatten, in jener Zeit, da sie vor nichts Angst zu haben brauchte.
Mit ruhiger, gelöster Stimme erklärte sie: »Es hat eine ganze Weile gedauert, bis ich mich etwas frisch gemacht hatte. Die Dämmerung ist nicht mehr fern. Die Ebenen draußen sind von der Abendsonne in orangefarbenes Licht getaucht, und ihr Widerschein füllt auch das Restaurant. Ich glaube, ich werde mich in die Nische dort setzen, in die Ecke am Fenster.«
Pablo dirigierte sie behutsam an dem Picasso-Gemälde vorbei auf eines der Sofas zu.
»Mmmm, das riecht aber gut!« sagte sie. »Zwiebeln ... Gewürze ... Pommes frites ...«
»Wieviel Leute sind im Restaurant, Ginger?«
Sie blieb stehen und drehte den Kopf nach allen Seiten, betrachtete die Imbissstube mit geschlossenen Augen.
»Der Koch hinter der Theke und eine Bedienung. Drei Männer ... vermutlich Lastwagenfahrer ... auf Hockern an der Theke. Und ... drei an jenem Tisch ... und der pausbäckige Priester ... noch ein Mann in der Nische dort drüben ...« Ginger deutete und zählte. »Oh, außer mir sind es elf Personen.«
»Gut«, sagte Pablo, »gehen wir zu der Nische am Fenster.«
Sie ging weiter, lächelte jemandem zu, wich einem nur ihr sichtbaren Hindernis aus, zuckte dann plötzlich überrascht zusammen und griff sich mit einer Hand ans Gesicht. »Oh!« Sie blieb abrupt stehen.
»Was is t los?« fragte Pablo. »Was ist passiert?«
Sie blinzelte einen Moment lang wütend, dann lächelte sie und redete mit jemandem im Tranquility Grille, wie sie es an jenem 6. Juli getan hatte. »Nein, nein, alles in Ordnung. Es macht wirklich nichts. Ich habe es schon abgeschüttelt.« Sie wischte sich das Gesicht ab. »Sehen Sie?« Sie hatte nach unten geschaut, weil die andere Person offensichtlich saß. Nun hob sie die Augen, als ihr Gesprächspartner aufstand.
Pablo wartete auf die Fortsetzung der Unterhaltung.
»Na ja, wenn man Salz verschüttet, ist es wirklich besser, etwas davon über die Schulter zu werfen, sonst kann weiß Gott was passieren. Mein Vater hat immer dreimal eine Prise geworfen wenn Sie das auch getan hätten, wäre ich jetzt in Salz begraben.«
Sie wollte weitergehen, aber Pablo hielt sie zurück.
»Halt, warten Sie, Ginger. Der Mann, der Salz über seine Schulter geworfen hat - wie sieht er aus?«
»Jung«, sagte sie. »Zweiunddreißig oder dreiunddreißig. Etwa eins achtundsiebzig groß. Schlank. Dunkle Haare. Dunkle Augen. Sieht ganz gut aus, wirkt schüchtern, aber sehr sympathisch.«
Dominick Corvaisis. Gar kein Zweifel.
Sie ging weiter. Pablo blieb an ihrer Seite, und als er bemerkte, dass sie in der Nische Platz nehmen wollte, führte er sie zum Sofa. Sie setzte sich hin und blickte lächelnd aus einem imaginären Fenster auf die vom Licht der untergehenden Sonne beschienenen Ebenen Nevadas hinaus.
Pablo verfolgte aufmerksam, wie Ginger einige höfliche Floskeln mit der Bedienung wechselte und eine Flasche Coors bestellte. Das Bier wurde serviert, und Ginger tat so, als nippte sie daran, während sie beobachtete, wie draußen die Sonne am Horizont versank. Pablo drängte sie nicht, denn er wusste, dass sie sich dem kritischen Augenblick näherten, von dem an die echten Erinnerungen den falschen Platz machten. Das Ereignis irgend etwas, das sie gesehen hatte und nicht hätte sehen dürfen hatte etwa um diese Zeit stattgefunden, und Pablo wollte soviel wie nur irgend möglich über die Minuten unmittelbar vor diesem verhängnisvollen Ereignis erfahren.
An jenem Abend der Vergangenheit brach die Dunkelheit herein.
Ginger bestellte einen Teller hausgemachte Gemüsesuppe und einen Cheeseburger mit allen Beilagen.
In Nevada wurde es Nacht.
Noch bevor ihr Essen serviert war, runzelte Ginger plötzlich die Stirn und sagte: »Was ist das?«
Sie schaute mit finsterem Gesicht aus dem imaginären Fenster.
»Was sehen Sie?« fragte Pablo, dem die Szenerie plötzlich verborgen blieb.
Sie stand beunruhigt auf. »Was ist das nur für ein Lärm?«
Sie sah
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