Schwarzer Mond: Roman
dass er lebte, wirkten seine Augen doch beunruhigend glasig.
Das zweite Foto verstörte Dom jedoch noch viel mehr, und zwar jedesmal von neuem, wenn er es betrachtete. Eine junge Frau war darauf zu sehen, und sie war für ihn keine Fremde.
Obwohl Dom sich nicht daran erinnern konnte, wo sie einander begegnet waren, wusste er doch, dass er sie kannte. Ihr Bild verursachte ihm Herzklopfen und erfüllte ihn mit einer ähnlichen Angst wie jener, die er beim Aufwachen aus seinen Anfällen von Schlafwandeln verspürte.
Sie musste Ende Zwanzig sein. Blaue Augen. Silberblonde Haare. Sehr regelmäßige Gesichtszüge. Sie wäre ungewöhnlich schön gewesen, wenn sie nicht den gleichen Ausdruck wie der junge Priester gehabt hätte: starr und leblos. Sie war von der Taille aufwärts fotografiert worden, auf einem schmalen Bett liegend, bis zum Hals in Laken gehüllt, mit Gurten ans Bett gefesselt. Ein Arm war teilweise entblößt; eine intravenöse Injektionsnadel steckte darin. Sie sah klein, hilflos und unterdrückt aus.
Das Foto erinnerte ihn unweigerlich an seine eigenen Alpträume von den Männern, die er nicht sehen konnte, die ihn aber anbrüllten und seinen Kopf in ein Waschbecken drückten.
Dieser schlimme Traum hatte einige Male nicht an einem Waschbecken begonnen, sondern in einem Bett, in einem seltsamen Raum, der mit safrangelbem Nebel erfüllt zu sein schien.
Beim Anblick der jungen Frau war Dom überzeugt davon, dass irgendwo auch von ihm ein ähnliches Foto existierte: an ein Bett gefesselt, eine Injektionsnadel im Arm, mit völlig ausdruckslosem Gesicht.
Als er die beiden Fotos am Freitag, dem Tag ihres Posteingangs, Parker Faine gezeigt hatte, war der Maler zu ähnlichen Schlussfolgerungen gelangt.
»Wenn ich mich irre, soll man mich in der Hölle braten und Sandwiches für den Teufel daraus machen - ich könnte jedenfalls schwören, dass die Frau auf diesem Foto mit Drogen oder sonstwie betäubt, in Trance versetzt und einer Gehirnwäsche unterzogen wurde, wie es auch dir passiert ist. Mein Gott, diese Situation wird von Tag zu Tag bizarrer und faszinierender! Eigentlich wäre das ein Fall für die Polizei - aber du kannst die Bullen nicht informieren, denn wir wissen nicht, auf welcher Seite sie stehen! Es ist ja durchaus möglich, dass du auf jener Autofahrt irgendeiner Abteilung unserer eigenen Regierung zufällig in die Quere gekommen bist. Aber jedenfalls bist du nicht der einzige, der in Schwierigkeiten geraten ist, alter Junge. Dieser Priester und diese junge Frau sind auch in die Sache hineingestolpert. Und wer auch immer sich so viel Mühe mit euch gemacht hat, muss viel zu verbergen haben - es muss um eine viel, viel wichtigere Angelegenheit gehen, als ich zunächst dachte.«
In seinem Hotelzimmer in Portland hielt Dom die beiden Fotos jetzt nebeneinander und ließ seine Blicke von dem Priester zu der Frau und wieder zurück schweifen.
»Wer seid ihr?« fragte er laut. »Wie heißt ihr? Was ist uns nur zugestoßen?«
Draußen zuckten Blitze wie Peitschen durch die Nacht, so als wollte ein kosmischer Kutscher den Regen zu schnellerem Tempo antreiben. Wie die dröhnenden Hufe von tausend galoppierenden Pferden, so trommelten dicke Regentropfen gegen die Mauer des Hotels und stürzten die Fensterscheiben hinab.
Später, beim Schlafengehen, fesselte Dom sich wieder ans Bett.
Das System hatte er seit Weihnachten allerdings wesentlich verbessert. Zunächst umwickelte er sein rechtes Handgelenk mit einer Mullbinde, die er mit Pflaster festklebte -als Schutzmaßnahme, damit die Schnur ihm nicht die Haut abschürfte. Er verwendete auch kein normales Hanfseil mehr, sondern eine Nylontrosse, die zwar nur einen halben Zentimeter dick war, aber eine Belastbarkeit von 1300 Kilo hatte und speziell für Bergsteiger empfohlen wurde.
Zu dieser widerstandsfähigen Schnur war er übergegangen, nachdem er in der Nacht des 28. Dezember den Hanfstrick im Schlaf durchgebissen hatte. Dem Bergsteigerseil war mit den Zähnen fast ebensowenig beizukommen wie einem Drahtseil.
In dieser Nacht in Portland wachte er dreimal auf; jedesmal zerrte er wütend an seiner Fessel, schwitzend und keuchend, mit rasendem Herzklopfen, überwältigt von wahnsinniger Angst.
»Der Mond! Der Mond!«
3. Las Vegas, Nevada
Am Tag nach Weihnachten ging Jorja Monatella mit Marcie zu Dr. Louis Besancourt, und die Untersuchung wurde zu einer Qual - sie frustrierte den Arzt, ängstigte Jorja und rief bei beiden Verwirrung und
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