Schwarzer Mond: Roman
November.
4. Laguna Beach, Kalifornien
Als verzweifelte Reaktion auf weitere bestürzende Anfälle von Somnambulismus tat Dom Corvaisis am Samstag alles mögliche, um sich ganz methodisch physisch zu erschöpfen. Er wollte abends so müde sein, dass er wie ein Stein durchschlafen würde, der seit Urzeiten tief im Schoß der Erde ruhte. Um sieben Uhr morgens, als der kühle Nachtnebel noch die Schluchten füllte und die Bäume umhüllte, führte er schon auf der Veranda anstrengende Gymnastikübungen durch, eine halbe Stunde lang; dann zog er seine Turnschuhe an und lief zehn Kilometer durch Lagunas Straßen, hügelauf- und hügelabwärts. Die nächsten fünf Stunden schuftete er sodann in seinem Garten. Da es ein warmer Tag war, schlüpfte er anschließend in seine Badehose, warf Handtücher in seinen >Firebird< und fuhr zum Strand. Er lag ein wenig in der Sonne und schwamm sehr viel. Nach einem Abendessen bei Picasso's lief er noch eine Stunde durch die Einkaufsstraßen, wo um diese Jahreszeit, außerhalb der Saison, nur wenige Touristen umherbummelten. Schließlich fuhr er nach Hause.
Als er sich in seinem Schlafzimmer auszog, hatte Dom das Gefühl, als wäre er im Lande Lilliput, als würde er von tausend winzigen Wesen mit dünnen Fäden zu Boden gezogen. Er trank nur selten, aber jetzt stürzte er ein Glas Remy Martin hinunter.
Im Bett schlief er schon ein, während er die Nachttischlampe ausknipste.
Die Anfälle von Somnambulismus waren immer häufiger geworden, und das Problem stand nun im Mittelpunkt seines Lebens. Es wirkte sich störend auf seine Arbeit aus. Das neue Buch, mit dem er anfangs so gute Fortschritte gemacht hatte - es enthielt die besten Passagen, die er je geschrieben hatte -, stagnierte. In den vergangenen zwei Wochen war er neunmal in einem Wandschrank aufgewacht, davon viermal in den letzten vier Nächten. Die Angelegenheit hatte nun absolut nichts Amüsantes mehr an sich, und sie war auch nicht mehr nur verwirrend. Er hatte Angst vor dem Schlafengehen, weil er im Schlaf keine Kontrolle über sich hatte.
Am Freitag war er dann schließlich zu seinem Arzt gegangen, zu Dr. Paul Cobletz in Newport Beach. Zögernd berichtete er Cobletz von seinem Schlafwandeln, war aber nicht imstande, zum Ausdruck zu bringen, wie sehr ihn dieses Problem inzwischen erschütterte. Dom war ein sehr verschlossener Mensch, was wohl der Tatsache zuzuschreiben war, dass er seine Kindheit bei einem guten Dutzend Pflegeeltern zugebracht hatte, von denen einige gleichgültig oder sogar feindselig gewesen waren; und alle hatten - das war am schlimmsten gewesen - in seinem Leben nur kurze Gastrollen gegeben. Es widerstrebte ihm zutiefst, seine wesentlichsten, persönlichsten Gedanken anderen mitzuteilen -das vermochte er nur durch den Mund seiner fiktiven Romangestalten.
Es war deshalb nicht weiter verwunderlich, dass Cobletz nicht allzu besorgt reagierte. Nach einer gründlichen körperlichen Untersuchung erklärte er Dom für vollkommen gesund. Das Schlafwandeln führte er auf Stress zurück, auf die baldige Veröffentlichung des Romanes.
»Sie halten irgendwelche Tests also nicht für erforderlich?« fragte Dom.
»Sie sind Schriftsteller«, antwortete Cobletz, »deshalb ist es ganz natürlich, dass ihre Fantasie mit Ihnen durchgeht. Sie denken an einen Gehirntumor, habe ich recht?«
»Nun ... ja!«
»Kopfschmerzen? Schwindelgefühl? Beeinträchtigtes Sehvermögen?«
»Nein.«
»Ich habe Ihre Augen untersucht. An der Netzhaut ist keine Veränderung zu erkennen, kein Hinweis auf intrakranialen Druck. Müssen Sie sich häufig übergeben?«
»Nein. Nichts Derartiges.«
»Müssen Sie ohne ersichtlichen Grund lachen oder geraten plötzlich in Euphorie? Irgend etwas in dieser Art?«
»Nein.«
»Dann sehe ich in diesem Stadium keinen Anlass für irgendwelche Tests.«
»Glauben Sie, dass ich ... dass ich Psychotherapie benötige?«
»Um Himmels willen, nein! Ich bin sicher, dass es bald vorübergehen wird.«
Während er sich anzog, sah Dom, dass Cobletz seine Akte zuklappte. »Ich dachte, vielleicht Schlaftabletten ...«, murmelte er.
»Nein, nein«, sagte Cobletz. »Noch nicht. Ich halte nichts davon, sofort Medikamente zu verschreiben. Tun Sie lieber folgendes, Dom: Lassen Sie für ein paar Wochen das Schreiben. Gönnen Sie Ihrem Gehirn etwas Ruhe und Erholung. Was Sie brauchen, ist körperliche Betätigung. Gehen Sie jeden Abend müde ins Bett, so müde, dass Sie keinen Gedanken mehr an das Buch
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