Schwarzer Mond: Roman
vermisst. Jetzt mu ss ich mich aber sputen und Ned helfen. Es ist Mittagessenszeit.«
Ernie und Faye blickten ihr nach, und Faye sagte: »Was in aller Welt kann nur mit ihr passiert sein?«
»Das weiß der liebe Himmel«, erwiderte Ernie.
»Zuerst dachte ich, dass sie vielleicht schwanger ist«, fuhr Faye fort. »Aber inzwischen glaube ich das nicht mehr. Wenn sie so selig darüber wäre, ein Kind zu bekommen, wäre sie mit dieser Neuigkeit bestimmt herausgeplatzt. Es muss etwas anderes sein.«
Ernie holte zwei der insgesamt vier Koffer aus dem Lieferwagen und stellte sie auf dem Boden ab, wobei er zugleich unauffällig auf die Uhr schaute. Der Sonnenuntergang war fünf Minuten näher gerückt.
Faye seufzte. »Na ja, jedenfalls freue ich mich sehr für sie.«
»Ich auch«, sagte Ernie, während er die beiden anderen Koffer heraushievte.
»>Ich auch<», imitierte Faye ihn liebevoll, während sie die beiden leichteren Koffer nahm. »Spiel doch nicht den coolen Mann, du weichherziger Kerl! Ich weiß doch genau, dass du dir um sie fast genausoviel Sorgen gemacht hast wie seinerzeit um unsere Lucy. Als du Sandy am Flughafen so verändert sahst, schmolz dein Herz doch regelrecht dahin -ich hab's genau beobachtet.«
Er folgte ihr mit den beiden schwereren Gepäckstücken.
»Gibt es eine medizinische Bezeichnung für die Kalamität eines schmelzenden Herzens?«
»Aber gewiss doch. Kardio-Liquefaktion.«
Er musste trotz seiner Beklemmung lachen. Faye konnte ihn immer zum Lachen bringen - auch wenn es ihm nicht gut ging.
Sobald sie im Haus waren, würde er sie in die Arme nehmen, küssen und geradewegs nach oben ins Schlafzimmer führen.
Das war die beste Medizin gegen seine plötzlich zu neuem Leben erwachten Ängste.
Sie stellte ihre beiden Koffer vor der Bürotür ab und holte die Schlüssel aus ihrer Handtasche.
Als sich herausgestellt hatte, dass Ernies Genesung ungewöhnlich rasch vonstatten ging, dass sie nicht monatelang in Milwaukee bleiben mussten, hatte Faye darauf verzichtet, nach Hause zu fliegen und nach einem Motelmanager zu suchen. Es war einfach geschlossen gewesen. Jetzt mussten sie aufschließen, die Heizung in Betrieb nehmen und den Staub mehrerer Wochen entfernen.
Eine Menge Arbeit wartete auf sie. Aber für ein kleines horizontales Tänzchen muss vorher noch Zeit sein, dachte Ernie grinsend.
Er stand hinter Faye, als sie den Schlüssel ins Schloss steckte; deshalb sah sie zum Glück nicht, dass er heftig zusammenzuckte, als das strahlende Tageslicht plötzlich schwächer wurde. Eine große Wolke verhüllte die Sonne. Von richtiger Dunkelheit konnte natürlich überhaupt keine Rede sein, die Lichtintensität hatte höchstens um zwanzig Prozent nachgelassen. Aber das genügte schon, um ihn nervös zu machen.
Er schaute auf seine Uhr.
Er warf einen Blick in östliche Richtung. Von dort würde die Nacht hereinbrechen.
Alles wird in bester Ordnung sein, versuchte er sich einzureden.
Ich bin doch geheilt.
Unterwegs: Reno - Elko County
Nach seinem paranormalen Erlebnis in Lomacks Haus am Dienstagabend, als unzählige Papiermonde ihn umschwirrt hatten, verbrachte Dominick Corvaisis einige Tage in Reno. Auf seiner ersten Reise von Portland nach Mountainview hatte er dort das Lokalkolorit für mehrere Kurzgeschichten über Spieler studiert, und da er jene Reise so genau wie nur möglich wiederholen wollte, blieb er am Mittwoch, Donnerstag und Freitag in der >Größten Kleinstadt der Welt<.
Er begab sich von einem Casino zum anderen und beobachtete die Spieler. Da gab es junge Ehepaare, Rentner, hübsche junge Mädchen, Frauen mittleren Alters in Wollwesten und Stretchhosen, Cowboys mit wettergegerbten Gesichtern, reiche Männer auf Dienstreisen, Sekretärinnen, Fernfahrer, Geschäftsführer, Ärzte, ehemalige Ganoven und Polizisten, die dienstfrei hatten, tatkräftige Menschen und Träumer, Leute aus allen möglichen Gesellschaftsschichten, die nur zweierlei verband: die Hoffnung auf den ganz großen Gewinn und die erregende Wirkung des organisierten Glücksspiels, des wohl demoralisierendsten Industriezweigs der ganzen Welt.
Wie bei seinem ersten Aufenthalt, so spielte Dom auch jetzt selbst nur gerade soviel, um nicht unangenehm aufzufallen, um einigermaßen dazuzugehören und dadurch ungestört seine Beobachtungen machen zu können. Nach dem Sturm der Papiermonde hatte er Grund zu glauben, dass Reno jener Ort war, wo sein Leben von Grund auf verändert worden war, wo der Schlüssel zu
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