Schwarzer Mond: Roman
eingetroffen. Die Einsamkeit und die majestätische Landschaft hatten ihn fasziniert und inspiriert. Er war zu der Ansicht gelangt, dass er hier gutes literarisches Material finden konnte, und er hatte mehrere Tage hier verbracht, um sich mit dieser Gegend vertraut zu machen und zu überlegen, was für Geschichten zu diesem Hintergrund passten. Erst am Dienstag, dem 10. Juli, war er morgens in Richtung Mountainview weitergefahren.
Er drehte sich langsam im Kreis, betrachtete die Landschaft im rasch dahinschwindenden Tageslicht und wusste plötzlich, dass das, was er hier erlebt hatte, das wichtigste Ereignis seines ganzen Lebens -auch des noch vor ihm liegenden - gewesen war.
Das Restaurant mit seinen großen Fenstern und dem blauen Neonschild stand am westlichen Ende des Komplexes, etwas abseits vom Motel, und war von einem großen Parkplatz umgeben, auf dem drei schwere Lastwagen standen. Der einstöckige Westflügel des Motels bestand aus zehn Zimmern mit glänzenden grünen Türen. Vom Ostflügel war er durch ein zweistöckiges Gebäude getrennt, in dessen Erdgeschoss das Empfangsbüro untergebracht war. In der ersten Etage lag höchstwahrscheinlich die Wohnung der Eigentümer. Der wieder einstöckige Ostflügel war L-förmig, mit sechs Zimmern im längeren und vier im kürzeren Teil. Dom drehte sich weiter im Kreis und sah den dunklen Himmel im Osten und die Interstate 80; in südlicher Richtung erstreckte sich sodann das weite Landschaftspanorama, und die Ebenen und fernen Berge setzten sich auch nach Westen hin fort, wo der Himmel von der untergehenden Sonne karmesinrot gefärbt war.
Doms Beklemmung wurde immer stärker. Schließlich blickte er wieder in die Richtung des Restaurants. Wie im Traum ging er darauf zu. Als er die Tür erreichte, hatte er rasendes Herzklopfen und wäre am liebsten geflüchtet.
Er widerstand diesem heftigen Drang, öffnete die Tür und betrat die Imbissstube.
Sie war sehr sauber, hell beleuchtet, warm und gemütlich. Es duftete köstlich nach Pommes frites, Zwiebeln, frisch gegrillten Hamburgern und gebratenem Schinken.
Immer noch wie im Traum, ging er auf einen leeren Tisch zu.
Eine Ketchupflasche, eine Zuckerdose, Senf, Salz-und Pfefferstreuer und ein Aschenbecher standen in der Tischmitte. Er nahm den Salzstreuer in die Hand.
Im ersten Augenblick wusste er nicht, warum er das getan hatte, aber dann erinnerte er sich daran, dass er am ersten Abend seines mehrtägigen Aufenthalts im Tranquility Motel an diesem Tisch gesessen hatte. Er hatte etwas Salz verschüttet, zur Abwendung von Unheil unwillkürlich eine Prise über seine Schulter geworfen und zufällig eine junge Frau getroffen, die gerade hinter seinem Stuhl vorbeiging.
Er spürte, dass dieser kleine Zwischenfall wichtig gewesen war, aber er wusste nicht, warum.
Wegen der Frau? Wer war sie gewesen?
Irgendeine Fremde.
Wie hatte sie ausgesehen?
Er versuchte vergeblich, sich an ihr Gesicht zu erinnern.
Ohne jeden erkennbaren Grund nahm sein Herzklopfen immer mehr zu. Er hatte das Gefühl, dicht vor einer verheerenden Offenbarung zu stehen.
Es wollte ihm aber einfach nicht gelingen, sich an weitere Einzelheiten zu erinnern.
Er stellte den Salzstreuer wieder hin. Vor unerklärlicher Angst fröstelnd, ging er zu der Ecknische an der Fensterfront.
Sie war leer, aber Dom war sich sicher, dass die junge Frau, nachdem sie sich das Salz vom Gesicht abgewischt hatte, an jenem anderen Abend hier Platz genommen hatte.
»Kann ich Ihnen helfen?«
Dom registrierte, dass eine Kellnerin in gelbem Sweater neben ihm stand und ihn angesprochen hatte, aber er konnte sich nicht aus dem Bann einer schrecklichen Erinnerung lösen, die noch keine klaren Konturen angenommen hatte, aber aus seinem Unterbewusstsein hervordrängte. Die gesichtslose Frau aus jener Vergangenheit hatte in dieser Nische gesessen und im orangefarbenen Licht des Sonnenuntergangs einfach hinreißend ausgesehen.
»Mister? Geht es Ihnen nicht gut?«
Die junge Frau hatte ihr Abendessen bestellt, und Dom hatte weitergegessen, und die Sonne war untergegangen, und die Dunkelheit war hereingebrochen, und - Nein!
Die Erinnerung tauchte aus der Tiefe empor, wollte durch die trübe Oberfläche ins Licht seines Bewusstseins durchbrechen, aber im letzten Moment schreckte er in panischer Angst davor zurück, so als hätte er die grässliche Fratze eines bösartigen Seeungeheuers auf sich zukommen sehen. Er wollte sich plötzlich nicht mehr erinnern, stieß einen
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