Schwarzer Mond: Roman
Sandys Verwandlung vom hässlichen Entlein zum stolzen Schwan beigetragen. Als Ned sie in einem Restaurant, wo sie beide arbeiteten, kennengelernt hatte, war sie nicht nur befangen und zurückhaltend, sondern geradezu krankhaft schüchtern und verängstigt gewesen. Sie war eine ausgezeichnete Arbeitskraft und eine gute Kollegin; sie half anderen Kellnerinnen bereitwillig aus, wenn diese mit den Bestellungen nicht nachkamen, aber sie hatte zu niemandem näheren Kontakt. Dieses blasse, geduckte dreiundzwanzigjährige Mädchen - die Bezeichnung >Frau< passte irgendwie nicht zu Sandy -ging jeder Freundschaft aus dem Weg, weil es Angst hatte, enttäuscht und verletzt zu werden. Sobald Ned diese verschreckte kleine graue Maus gesehen hatte, war in ihm der Wunsch erwacht, ihr zu helfen, ihr Leben in Ordnung zu bringen. Mit unerschöpflicher Geduld begann er sich mit ihr zu beschäftigen, so behutsam, dass sie anfangs sein Interesse an ihr überhaupt nicht bemerkte.
Neun Monate später hatten sie geheiratet, obwohl Neds >Instandsetzungsarbeiten< an Sandy noch keineswegs zum vollen Erfolg geführt hatten. Ned hatte nie zuvor einen Menschen mit so schlimmen seelischen Schäden kennengelernt, und manchmal dachte er resigniert, dass es ihm nie gelingen würde, sie vollständig zu heilen, dass sein ganzes Leben nicht ausreichen würde, um sichtbare Fortschritte zu erzielen.
Trotzdem hatte er in den ersten sechs Jahren einen - wenn auch nur irrsinnig langsamen - Heilungsprozess beobachten können. Sandy hatte einen klaren Verstand, aber emotional war sie völlig zurückgeblieben; es fiel ihr wahnsinnig schwer, Gefühle auszudrücken und an Zuneigung zu glauben.
Erste Hinweise auf eine entscheidende Wende zum Besseren hatte Ned schließlich im vorletzten Sommer an ihrer veränderten Einstellung zur Sexualität feststellen können. Sie war nie prüde gewesen und hatte fantastische Kenntnisse auf sexuellem Gebiet, aber sie selbst blieb dabei immer so teilnahmslos wie ein Roboter. Lust schien für sie ein Fremdwort zu sein. Ned hatte nie eine Frau gekannt, die im Bett so still war wie Sandy. Er vermutete, dass ihr in der Kindheit etwas Schlimmes angetan worden war, und er versuchte immer wieder, sie zum Sprechen zu bringen, aber sie blieb unerschütterlich bei ihrer Meinung, es sei besser, die Vergangenheit ruhen zu lassen, und er spürte, dass sein beharrliches Drängen sie sogar dazu treiben könnte, ihn zu verlassen; er stellte deshalb seine Fragen ein, obwohl es schwierig war, jemandem zu helfen, wenn man an die Ursache nicht herankam.
Und dann, Ende August des vorletzten Sommers, begann sie sich im Bett allmählich anders zu verhalten. Es waren anfangs keine dramatischen Veränderungen, kein plötzlicher Ausbruch lange unterdrückter Leidenschaften. Sie war beim Liebesakt einfach etwas entspannter als früher, und manchmal lächelte sie dabei oder flüsterte seinen Namen.
Zur Weihnachtszeit jenes Jahres lag sie dann nicht mehr völlig passiv und steif auf dem Bett, sondern bemühte sich, sich seinem Rhythmus anzupassen und die Erfüllung zu finden, die ihr immer versagt geblieben war.
Ganz allmählich gelang es ihr, die Ketten abzustreifen, die sie zur Frigidität verdammt hatten. Und am 7. April letzten Jahres eine Nacht, die Ned niemals vergessen würde -erlebte Sandy schließlich ihren ersten Orgasmus. Es war eine Klimax von solcher Heftigkeit, dass sie Ned einen Moment lang sogar ängstigte. Hinterher weinte sie vor Glück und schmiegte sich mit solcher Dankbarkeit, Liebe und solchem Vertrauen an ihn, dass auch ihm Tränen in die Augen traten.
Er dachte, dass sie nach diesem Durchbruch endlich in der Lage sein würde, über die Ursache ihres jahrelangen Leidens zu sprechen, aber als er behutsam danach fragte, erklärte sie ihm: »Was vorbei ist, ist vorbei. Es wäre sinnlos, die Vergangenheit heraufzubeschwören. Wenn ich darüber spreche, gewinnt sie möglicherweise neue Gewalt über mich.« Im Laufe des Frühjahrs und Sommers verschaffte der Liebesakt ihr immer häufiger volle Befriedigung, und seit September erlebte sie fast jedesmal einen Orgasmus. Und an Weihnachten - vor weniger als drei Wochen wurde es ganz deutlich, dass ihre sexu elle Entwicklung nicht die einzige Veränderung war, sondern von aufkeimendem Selbstbewusstsein und zaghafter Selbstachtung begleitet wurde.
Lange Jahre hindurch war Autofahren ihr ein Gräuel gewesen, aber parallel zu ihrer sexuellen Entwicklung fand sie auch daran allmählich immer
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