Schwarzer Mond: Roman
war, um begreifen zu können, welch ein Wunder es ist, dass ich inzwischen etwas Selbstachtung gewonnen habe. Es war Ned, der mir als erster Mut machte, an mich glaubte, mir die Chance gab, jemand zu sein.« Sie hielt seine Hand noch fester. »Es ist jetzt fast neun Jahre her, dass er anfing, mir den Hof zu machen, und er war der erste Mensch, der mich je wie eine Dame behandelte. Er hat mich geheiratet, obwohl er wusste, dass ich innerlich mit einer Unmenge komplizierter Knoten gefesselt war, und er hat acht Jahre lang sein Bestes getan, um diese Knoten zu entwirren. Er glaubt, ich weiß nicht, wie sehr er sich bemüht hat, mir zu helfen, aber ich weiß es nur zu gut.«
Ihre Stimme zitterte. Sie verstummte und trank einen Schluck Bier.
Ned konnte kein Wort hervorbringen.
»Ich erzähle Ihnen das«, fuhr Sandy fort, »weil ich möchte, dass Sie etwas verstehen. Vielleicht hat jenes Ereignis vom vorletzten Sommer, an das sich keiner von uns erinnern kann ... vielleicht hat es wirklich große Auswirkungen auf mich gehabt. Aber wenn Ned mich nicht vor vielen Jahren unter seine Fittiche genommen hätte, hätte ich niemals auch nur eine Chance gehabt.«
Neds Kehle war wie zugeschnürt, und vor Liebe wollte ihm fast das Herz im Leib zerspringen.
Sie warf ihm einen zärtlichen Blick zu, aber als sie anfing, von ihrer Kindheit in der Hölle zu berichten, starrte sie wieder auf die Bierflasche. Sie beschrieb die Vergewaltigungen durch Ihren Vater nicht in allen Einzelheiten, und noch kürzer fasste sie sich, als sie erzählte, wie sie von ihrem Vater als Kind von Zeit zu Zeit in Las Vegas zur Prostitution gezwungen worden war.
Ihr Bericht war um so erschütternder, weil sie selbst kein Drama daraus machte. Alle lauschten in tiefem Schweigen, das außer von Entsetzen über diesen ungeheuerlichen Missbrauch eines Kindes auch von tiefem Mitleid und von Respekt für ihre Kraft geprägt war.
Als Sandy schließlich alles erzählt hatte, schloss Ned sie in die Arme und hielt sie fest umschlungen. Er hatte immer gespürt, dass sie ein ganz besonderer Mensch war, und nachdem er nun endlich wusste, was ihr in der Kindheit angetan worden war, liebte und bewunderte er sie nur noch mehr. Und er war froh, dass sie endlich darüber sprechen konnte, denn das bedeutete, dass sie ihre schreckliche Vergangenheit wirklich bewältigt hatte.
Alle konnten jetzt ein weiteres Bier gebrauchen. Ned holte fünf Flaschen Dos Equis aus dem Kühlschrank und stellte sie auf den Tisch.
Corvaisis, in dem Ned jetzt keinen Nebenbuhler mehr sah, schüttelte blinzelnd den Kopf, so als wollte er sich aus dem schrecklichen Bann von Sandys Geschichte lösen.
»Das stellt alles völlig auf den Kopf«, sagte er sodann. »Ich meine damit -jenes Erlebnis, an das wir uns nicht erinnern können, hatte doch für alle anderen offenbar eine grundlegende Auswirkung - Schrecken. Sicher, irgendwie war diese Sache für mich auch segensreich, denn sie lockte mich aus meinem Schneckenhaus hervor; das habe ich mit Sandy gemeinsam. Aber Ernie, Dr. Weiss, Lomack und ich selbst ... wir leiden alle unter irgendwelchen schrecklichen Ängsten. Und nun erzählt uns Sandy, dass dieses mysteriöse Erlebnis für sie ausschließlich positive Auswirkungen hatte. Wie ist es nur möglich, dass die Folgen für uns so verschieden sind? Und Sie haben wirklich keinerlei Angstgefühle, Sandy?«
»Nein.«
Ernie hatte bisher die ganze Zeit mit hochgezogenen Schultern und gesenktem Kopf da gesessen, so als wollte er seinen Nacken vor einem Angriff schützen. Nun lehnte er sich aber zurück und entspannte sich ein wenig.
»Ja, Angst ist der Kern der Sache. Aber erinnern Sie sich an jenen Ort an der I-80, von dem ich Ihnen erzählt habe - nicht weit von hier entfernt? Ich bin sicher, dass dort etwas Unheimliches passiert ist, das irgendwie mit der Gehirnwäsche zusammenhängt. Aber als ich an jenem Ort stand, verspürte ich nicht nur Angst. Ich hatte rasendes Herzklopfen ... ich war aufgeregt ... aber es war keine ausschließlich unangenehme Erregung. Angst ist ein Teil der Empfindung, vielleicht sogar der überwiegende Teil, aber es spielen auch verschiedene andere Gefühle mit hinein.«
»Ich glaube, ich weiß, von welchem Ort Ernie spricht«, sagte Sandy. »Ich vermute, es ist derselbe Ort, an dem ich oft unvermutet lande, wenn ich mit dem Lieferwagen losfahre. Irgend etwas zieht mich dorthin.«
Ernie beugte sich aufgeregt vor. »Ich wusste es! Als wir heute morgen auf dem Weg vom
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