Schwarzer Mond: Roman
anderen.
Das heulende Pfeifen war ebenfalls angeschwollen und wurde immer schriller, immer durchdringender, ein schwingendes elektronisches Kreischen.
»Was ist das?« schrie Sandy, und der unablässige Donner erreichte eine solche Stärke, dass die Wände des Restaurants erzitterten.
Auf dem Tisch, an dem Corvaisis gesessen hatte, fiel das Bierglas um, zerbrach.
Ned warf einen Blick auf seinen Tisch und sah, dass die Ketchupflasche, das Senfglas, die Salz-und Pfefferstreuer, Aschenbecher, Gläser, Teller und Bestecke klirrend und klappernd hin und her rutschten. Ein Bierglas kippte um, dann ein zweites, dann die Ketchupflasche.
Mit schreckensweit aufgerissenen Augen drehten Ned und die anderen ihre Köpfe in alle Richtungen, so als rechneten sie damit, dass irgendein dämonisches Wesen jeden Augenblick sichtbare Gestalt annehmen würde.
Überall im Raum fielen Gegenstände von den Tischen. Die Uhr mit der Coors-Reklame rutschte vom Haken und zerschellte auf dem Boden.
Wie an jenem Juliabend - das wusste Ned jetzt. Aber er konnte sich nicht erinnern, was als nächstes passiert war.
»Aufhören!« brüllte Ernie mit der autoritären Kommandostimme eines Offiziers, der an Gehorsam gewöhnt ist - aber ohne jeden Erfolg. Ein Erdbeben? dachte Ned. Aber ein Erdbeben erklärte nicht das elektronische Kreischen, das den Donner begleitete. Die Stühle glitten über den Boden, prallten aufeinander. Ein Stuhl traf Corvaisis, der vor Schreck einen Satz machte.
Ned fühlte, dass der Fußboden schwankte.
Das donnerartige Grollen und der grässliche Heulton schwollen zu ohrenbetäubendem Getöse an, und mit dem dumpfen Knall einer Bombenexplosion zerbarsten die großen Fenster an der Vorderseite des Lokals. Faye schrie auf und schirmte ihr Gesicht mit den Armen ab, und Ernie taumelte rückwärts und wäre um ein Haar über einen Stuhl gefallen. Sandy versteckte ihr Gesicht an Neds Brust.
Sie hätten durch Glassplitter schwer verletzt werden können, wenn die geschlossenen Jalousien nicht eine Barriere zwischen ihnen und den zerberstenden Scheiben gebildet hätten. Aber die Implosion war so stark, dass die Jalousien sich nach innen blähten, so wie die Vorhänge an einem offenen Fenster bei starkem Wind. Glitzernde Glassplitter fielen in die Nischen, regneten auf Ned und auf den Boden hinab.
Stille. Nach der Implosion der Fenster trat tiefe Stille ein, die nur vom leisen Klirren einzelner Glasstückchen durchbrochen wurde, die sich aus den Rahmen lösten.
An jenem Freitagabend im Juli des vorletzten Sommers war viel mehr als nur das geschehen, aber was? Es wollte Ned nicht einfallen. Diesmal schien das mysteriöse Drama aber abrupt abgebrochen zu sein.
Dom Corvaisis blutete leicht aus einer Schnittwunde auf der rechten Wange, aber es war kaum mehr als ein Kratzer. Auch Ernies Stirn und rechter Handrücken waren von Glassplittern geritzt worden.
Nachdem Ned sich davon überzeugt hatte, dass Sandy nicht verletzt war, ließ er sie widerwillig allein und stürzte zur Tür. Er rannte in die Nacht hinaus, um nach der Ursache für dieses Getöse und die Implosion zu suchen, aber draußen umfing ihn nur die tiefe, feierliche Stille der Hochebene. Kein Rauch, keine geschwärzten Überreste deuteten auf irgendeine Katastrophe hin.
Auf der Interstate am Fuße des Hügels fuhren vereinzelte Wagen vorüber. Drüben im Motel standen einige vom Lärm aufgeschreckte Gäste in Pyjamas vor den Türen ihrer Zimmer. Der Himmel war mit Sternen übersät. Die Luft war eisig, aber es war fast windstill, bis auf eine leichte Brise, die Ned plötzlich an den kalten Hauch des Todes gemahnte. Es war absolut nichts zu sehen, was den Donner, das Beben und die Implosion der Fenster bewirkt haben konnte.
Dom Corvaisis kam bestürzt aus dem Restaurant. »Verdammt, was war das?«
»Ich hatte gehofft, dass Sie es wissen würden«, erwiderte Ned.
»Das Gleiche ist damals im vorletzten Sommer geschehen.«
»Ich weiß.«
»Aber es war nur der Anfang davon. Ve rdammt, ich kann mich einfach nicht erinnern, was an jenem Abend nach dem Zerbersten der Fenster passiert ist.«
»Ich auch nicht«, sagte Ned.
Corvaisis betrachtete seine Hände. Im Neonlicht der Leuchtreklame auf dem Dach sah Ned geschwollene Ringe auf den Handflächen des Schriftstellers. Weil das Neonlicht blau war, konnte er die wirkliche Farbe der Male nicht erkennen. Aber aus Corvaisis' Erzählung von vorhin wusste Ned, dass diese Ringe rot und wie entzündet waren.
»Verdammt,
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