Schwarzer Mond: Roman
Lokalzeitung, die zwar auch über wichtige nationale und internationale Ereignisse berichtete, aber an Sensationsgeschichten nicht interessiert war. Hier würde nie jener dramatische Schrei zu hören sein: »Drucken unterbrechen!« Hier würde es keinen Umbruch der Titelseite in letzter Minute geben. Das Leben in Elko County war noch nicht von Hektik geprägt; in diesem ländlichen Gebiet ging alles immer noch gemächlich vonstatten; niemand hatte das Bedürfnis, auf dem allerneuesten Stand der Dinge zu sein. Der >Sentinel< ging abends in Druck und wurde morgens ausgeliefert. Eine Sonntagsausgabe gab es nicht, und deshalb enthielt erst die Zeitung von Montag, dem 9. Juli, Berichte über die Katastrophe.
In den Ausgaben vom Montag und Dienstag hatten die aufsehenerregenden Vorfälle dann allerdings für riesige Schlagzeilen gesorgt:
I-80 NACH GIFTKATASTROPHE GESPERRT und ARMEE RIEGELT SPERRGEBIET HERMETISCH AB und VERSEUCHT AUSTRETENDES NERVENGAS AUS LKW DIE GANZE BEVÖLKERUNG? und EIN SPRECHER DER ARMEE: ALLE AUS GEFAHRENZONE EVAKUIERT und WO SIND DIE EVAKUIERTEN? und WAS EREIGNET SICH AUF DEM SHENKFIELD-TESTGELÄNDE? und I-80 NUN SCHON VIERTEN TAG FÜR GESAMTEN VERKEHR GESPERRT und SANIERUNGSARBEITEN FAST ABGESCHLOSSEN, HIGHWAY GEGEN MITTAG WIEDER PASSIERBAR!
Mit einem Gefühl der Unwirklichkeit nahmen Ginger und Dom von den sensationellen Ereignissen Kenntnis, die an jenen Tagen stattgefunden hatten, als sie sich angeblich im friedlichen Tranquility Motel ausgeruht hatten. Dom war jetzt überzeugt davon, dass Gingers Theorie richtig war, dass die Experten für Gehirnwäsche eine, wenn nicht zwei Wochen benötigt hätten, um die Giftkatastrophe in die künstlichen Erinnerungen sowohl der Ortsansässigen als auch der Ortsfremden nahtlos zu integrieren, und so lange hätten sie die Gegend nicht abriegeln können, ohne landesweit erhebliches Aufsehen zu erregen.
Die Zeitung von Mittwoch, dem 11. Juli, trug die Schlagzeilen: I-80 FREIGEGEBEN und ALLE BESCHRÄNKUNGEN AUFGEHOBEN: KEINE LANGZEIT-VERSEUCHUNG und ERSTE INTERVIEWS MIT EVAKUIERTEN: SIE HABEN NICHTS GESEHEN.
Der >Sentinel<, eine ausgesprochene Kleinstadtzeitung, hatte einen Umfang zwischen sechzehn und zweiundzwanzig Seiten.
In jenen Julitagen nahmen Berichte über die Giftkatastrophe den meisten Raum ein, denn der Vorfall hatte Reporter aus dem ganzen Land auf die Beine gebracht, und der sonst wenig beachtete >Sentinel< hatte endlich einmal im Mittelpunkt des Interesses gestanden. Bei der Lektüre des reichhaltigen Materials stießen Dom und Ginger auf viel Interessantes, das ihnen bei der Planung der nächsten Schritte sehr weiterhelfen würde.
Äußerst aufschlussreich war das Ausmaß der von der US-Armee getroffenen Sicherheitsvorkehrungen, das deutlich machte, wie sehr gewissen Kreisen an einer Verschleierung der Wahrheit gelegen war. Obwohl es nicht in ihre Kompetenz fiel, hatten in Shenkfield stationierte Einheiten der Armee sofort nach dem Unfall Straßensperren errichtet und die I-80 auf einem Abschnitt von sechzehn Kilometern für den gesamten Verkehr gesperrt, ohne den Bezirkssheriff oder die Polizei des Bundesstaates Nevada von diesen Maßnahmen auch nur zu unterrichten.
Das war ein eindeutiger Übergriff des Militärs. Nach der Verhängung des Ausnahmezustands hatten Sheriff und Polizei sich immer vehementer beschwert, dass die Armee die Zivilbehörden völlig übergehe und die ganze Macht an sich reiße. Die Polizei war weder an der Sicherung des Quarantänegebiets beteiligt, noch wurde sie zu den Konsultationen hinzugezogen, was im Falle einer Ausbreitung des Nervengases über die Grenzen der ursprünglichen Gefahrenzone hinaus - etwa durch starkes Windaufkommen oder durch andere unerwartet eintretende Fakten - zu tun sei. Es war unverkennbar, dass das Militär nur seinen eigenen Leuten zutraute, über die tatsächlichen Ereignisse innerhalb des Sperrzone Stillschweigen zu bewahren.
Nach zwei Tagen zunehmender Frustration hatte sich Fester Hanks, der Sheriff des Elko County, einem Reporter des >Sentinel< gegenüber folgendermaßen geäußert: »Dies hier ist mein Bezirk, die Leute haben mich gewählt, um hier für Ordnung zu sorgen. Wir haben hier doch keine Militärdiktatur. Wenn die Armee sich nicht bereiterklärt, mit mir zu kooperieren, werde ich morgen früh zum Richter gehen und einen Gerichtsbeschluss dahingehend erwirken, dass die Armee die gesetzlich festgelegten Zuständigkeiten gefälligst zu respektieren habe.«
In der
Weitere Kostenlose Bücher