Schwarzer Mond: Roman
mehr Kontakte, Informationsquellen und mehr Ausdauer als das FBI. Und die Brüder von der >fratellanza< würden auch das Geld im Safe liegen lassen, um ihm dadurch zu verstehen zu geben, dass sie mehr wollten als nur das Geld, das er ihnen gestohlen hatte. Der Mafia würde es auch ähnlich sehen, etwas wie diese Ansichtskarte zu hinterlassen, denn diese Burschen liebten es, ein Opfer im eigenen Saft schmoren zu lassen, bevor sie es endlich zur Strecke brachten.
Es sprach aber auch einiges gegen diese Theorie: Selbst wenn es der Mafia gelungen war, ihn aufzuspüren, selbst wenn die Gangster seine kriminelle Karriere irgendwie zurückverfolgt hatten, so würden sie sich nicht die Mühe machen, sich eine Karte vom Tranquility Motel zu beschaffen, nur um ihm Angst einzujagen. Das hätten sie mit einem Foto des Warenlagers in New Jersey, das er beraubt hatte, genausogut erreichen können.
Folglich war es nicht die Mafia.
Aber wer dann? Verdammt, wer konnte es nur sein?
Die kleine Kabine wirkte plötzlich beengend. Jack hatte das Gefühl, als rückten die Wände immer näher zusammen. Solange er hier in der Bank war, konnte er nicht wegrennen, sich nirgends verstecken. Er stopfte die 25.000 Dollar in seine Manteltaschen; jetzt hatte er nicht mehr die Absicht, sie zu verschenken; er würde sie für seine Flucht benötigen. Er schob die Ansichtskarte in seine Brieftasche, schloss den leeren Behälter und klingelte nach der Bankangestellten.
Zwei Minuten später atmete er erleichtert aus voller Lunge die kalte Januarluft ein, während er gleichzeitig aufmerksam die Menschen auf der Fifth Avenue musterte, um festzustellen, ob er beschattet wurde. Er konnte jedoch keine verdächtige Gestalt entdecken.
Kurze Zeit stand er wie ein Felsen mitten im Menschen ström, der ihn umflutete. Er wollte die Stadt und den Staat so schnell wie möglich verlassen, irgendwohin fliehen, wo sie ihn nicht suchen würden. Wer immer sie auch sein mochten. Aber er war sich nicht ganz sicher, ob eine Flucht erforderlich war. Während seiner Ranger-Ausbildung hatte er gelernt, dass man nicht handeln durfte, bevor man wusste, warum man handelte, was man damit erreichen wollte. Außerdem war seine Neugier noch größer als seine Furcht vor dem gesichtslosen Gegner; er musste herausfinden, mit wem er es zu tun hatte, wie sie ihn trotz seiner komplizierten Vorsichtsmaßnahmen aufgespürt hatten und was sie eigentlich von ihm wollten.
Er hielt ein Taxi an und ließ sich zur Ecke Wall Street und William Street bringen, ins Zentrum des Finanzimperiums, wo er sechs Tresore in sechs verschiedenen Banken hatte. Er stattete vier dieser Banken einen Besuch ab und entnahm jedem Safe
25.000 Dollar sowie eine Ansichtskarte des Tranquility Motels.
Danach beschloss er, keine weiteren Banken mehr aufzusuchen, denn seine Manteltaschen waren von den 125.000 Dollar ohnehin schon ausgebeult, und es war gefährlich, mit einer solchen Summe herumzulaufen. Außerdem war er inzwischen überzeugt davon, dass sie auch hinter seine übrigen sechs Falschnamen gekommen waren und auch in den anderen Bankschließfächern ihre >Visitenkarte< hinterlassen hatten. Er hatte jetzt genügend Geld für die Flucht, und wegen der verbleibenden 150.000 Dollar in den sechs restlichen Bankfächern machte er sich keine großen Sorgen. Zum einen hatte er vier Millionen auf seinen Schweizer Bankkonten, und zum anderen hätte der Verteiler der Ansichtskarten das Geld schon mitnehmen können, wenn das seine Absicht gewesen wäre.
Inzwischen hatte er auch Zeit gehabt, über jenes Motel in Nevada nachzudenken, und es ging ihm allmählich auf, dass an seinem dortigen Aufenthalt irgend etwas ziemlich merkwürdig war. Er hatte drei Tage im Tranquility Motel verbracht, sich entspannt und die Ruhe und die majestätische Landschaft genossen. Das sah ihm eigentlich gar nicht ähnlich, wie ihm erst jetzt auffiel. Drei Tage Aufenthalt in diesem abgelegenen Motel, mit einer erheblichen Geldsumme im Kofferraum seines Mietwagens? Drei Tage Aufenthalt, nachdem er bereits zwei Wochen von New York - und Jenny - weggewesen war? Er wäre von Reno aus doch bestimmt auf schnellstem Wege nach Hause gefahren. Jetzt, wo er näher darüber nachdachte, ergab der dreitägige Aufenthalt im Tranquility Motel überhaupt keinen Sinn.
Er ließ sich von einem Taxi in seine Wohnung bringen, wo er kurz vor elf ankam. Als erstes rief er Elite Flights an, eine Gesellschaft, bei der man kleine Jets chartern konnte und bei der
Weitere Kostenlose Bücher