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Schwarzer Mond: Roman

Schwarzer Mond: Roman

Titel: Schwarzer Mond: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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ein Instrument zur Untersuchung des inneren Auges. Es hatte nichts Außergewöhnliches und ganz bestimmt nichts Ominöses an sich. Jeder Arzt verwendete ein solches Ophthalmoskop bei Routineuntersuchungen. Und doch bekam sie beim Anblick dieses Instruments plötzlich keine Luft mehr und hatte das Gefühl einer schrecklichen Bedrohung.
    Kalter Schweiß trat ihr aus allen Poren.
    Ihr Herz hämmerte so heftig, so laut, dass das Geräusch nicht aus ihrer Brust zu kommen schien, sondern von draußen, von der Straße; es hörte sich an wie die Trommel bei einer Parade.
    Sie konnte ihren Blick nicht von dem Ophthalmoskop wenden.
    Wie bei dem Vorfall mit den schwarzen Handschuhen vor nunmehr zwei Wochen, so begannen alle anderen Gegenstände in Georges Büro zu verblassen, bis sie nur noch das glänzende Instrument in allen Einzelheiten sehen konnte. Sie registrierte jeden winzigen Kratzer am Griff. Jedes kleine Bauelement dieser Konstruktion gewann ungeheure Bedeutung, so als handelte es sich nicht um ein ganz alltägliches medizinisches Instrument, sondern um den Achsnagel des Universums, um ein geheimnisvolles Gerät mit katastrophalem Vernichtungspotential.
    Der Schraubstock panischer Angst, die aus heiterem Himmel über sie hereingebrochen war, rief bei ihr ein Gefühl von Klaustrophobie hervor. Sie schob den Sessel zurück und sprang auf.
    Keuchend und wimmernd, glaubte sie zu ersticken, während ihr gleichzeitig kalte Schauer über den Rücken liefen.
    Der Schaft des Ophthalmoskops funkelte, als bestünde er aus Eiskris tallen.
    Die Linse schillerte wie ein fremdartiges Auge.
    Davonrennen oder sterben, sagte ihr eine innere Stimme. Davonrennen oder sterben .
    Ein Schrei entrang sich ihrer Kehle, und er hörte sich an wie der gequälte Hilferuf eines verirrten, zu Tode geängstigten Kindes.
    Sie taumelte um den Schreibtisch herum, fiel fast über einen Stuhl. Sie stürzte ins vordere Büro hinaus, flüchtete auf den leeren Korridor, mit schrillen Klagelauten, die ungehört verhallten.
    Sie suchte verzweifelt nach Schutz und Hilfe, nach einem freundlichen Gesicht, aber sie war der einzige Mensch auf dem Gang, und die Gefahr kam immer näher. Die unerklärliche Bedrohung im Nacken, die von dem harmlosen Ophthalmoskop ausging, rannte sie, so schnell sie nur konnte, den Korridor entlang.
    Davonrennen oder sterben.
    Der Nebel senkte sich.
    Minuten später, als dieser Nebel sich auflöste, als sie ihre Umgebung wieder wahrnehmen konnte, fand sie sich auf der Feuertreppe am Ende des Bürotrakts wieder, auf einem Betonabsatz zwischen zwei Stockwerken. Sie konnte sich nicht daran erinnern, wie sie vom Korridor hierher gekommen war. Sie saß auf dem Treppenabsatz in der Ecke, den Rücken an die Mauer gepresst, und starrte das Geländer an. Eine nackte Glühbirne brannte in einem Drahtgeflecht an der Decke. Links und rechts von ihr führten Stufen im Halbdunkel zu anderen schwach beleuchteten Treppenabsätzen. Die Luft war kühl und muffig. Abgesehen von ihren ungleichmäßigen Atemzügen war kein Laut zu hören.
    Es war ein einsamer Ort, speziell wenn man so dringend die beruhigende Wirkung von hellen Lichtern und Menschen benötigt hätte, weil das ganze Leben plötzlich in Scherben zu fallen schien. Die grauen Mauern, die nackte Glühbirne, die lauernden Schatten, das Metallgeländer ... Es war, als spiegele dieser Ort Gingers Verzweiflung direkt wider.
    Ihre wilde Flucht und das höchst merkwürdige Benehmen, das sie dabei vermutlich an den Tag gelegt hatte, war offenbar von niemandem beobachtet worden, sonst wäre sie jetzt bestimmt nicht allein. Das war immerhin ein Segen. Wenigstens wusste niemand etwas.
    Aber sie wusste es, und das war schlimm genug.
    Ein Schauer durchlief sie, aber diesmal nicht vor Angst, denn das unsinnige Entsetzen, das sich ihrer bemächtigt hatte, war nun von ihr gewichen. Sie erschauerte, weil ihr kalt war, und ihr war kalt, weil ihre Kleidungsstücke an ihr klebten, von Schweiß durchtränkt.
    Sie hob die Hand und wischte sich das Gesicht ab.
    Sie stand auf und blickte treppauf-und treppabwärts. Sie wusste nicht, ob das Stockwerk, in dem George Hannaby sein Büro hatte, höher oder tiefer lag. Sie beschloss hinaufzugehen.
    Ihre Schritte hallten gespenstisch wider.
    Aus unerfindlichen Gründen dachte sie an Gräber.
    »Meschugge«, murmelte sie mit unsicherer Stimme.
    Es war der 27. November.

6. Chicago, Illinois
    Am ersten Sonntagmorgen im Dezember war es kalt, und der graue Himmel verhieß

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