Schwarzer Mond: Roman
kamen.
Das Krankenbett war die einzige Konzession an reine Zweckmäßigkeit und wirkte dadurch seltsam deplaciert. Die teure Bettwäsche hatte allerdings wieder ein fröhliches grünes Muster.
Nur die Patientin selbst störte die angenehme Atmosphäre des Zimmers.
Jack schob das Sicherheitsgitter am Bett herunter, beugte sich hinab und küsste seine Frau auf die Wange. Sie bewegte sich nicht. Er nahm ihre Hand und hielt sie mit seinen beiden Händen umfangen. Er spürte nicht den leisesten Fingerdruck; ihre Hand blieb völlig schlaff, gefühllos - aber sie war wenigstens warm.
»Jenny? Ich bin es, Jenny. Wie geht es dir heute? Hmmmm? Du siehst gut aus. Du siehst bezaubernd aus. Du siehst immer bezaubernd aus.«
Dafür, dass sie seit acht Jahren im Koma lag, während all dieser Zeit keinen einzigen Schritt getan und keine Sonne auf ihrem Gesicht gespürt hatte, sah sie wirklich ganz gut aus. Vielleicht konnte nur Jack sagen, dass sie immer noch bezaubernd aussah und das völlig ernst meinen. Sie war nicht mehr die Schönheit von einst, aber sie sah ganz gewiss nicht so aus, wie man sich jemanden vorstellte, der nun seit fast einem Jahrzehnt an der Schwelle des Todes stand.
Ihr Haar glänzte nicht mehr, aber es war immer noch dicht und hatte noch dieselbe kräftige Kastanienfarbe wie damals vor 14 Jahren, als er sie zum erstenmal gesehen hatte, an ihrem Arbeitsplatz in der Parfümerieabteilung für Männer bei Bloomingdale's. Die Krankenschwestern wuschen ihr zweimal in der Woche das Haar und bürsteten es täglich.
Er hätte seine Hand unter ihre Haare schieben und über die linke Seite ihres Schädels gleiten lassen können, über die unnatürliche Eindellung. Er hätte diese Vertiefung berühren können, ohne ihr weh zu tun, denn sie spürte keine Schmerzen mehr.
Aber er tat es nicht. Denn jene Stelle zu berühren würde ihm Schmerz bereiten.
Auf ihrer Stirn, auf dem ganzen Gesicht war kein einziges Fältchen zu sehen, nicht einmal in den Winkeln ihrer geschlossenen Augen. Sie war zwar mager, aber durchaus nicht in erschreckendem Ausmaß. Wie sie so völlig regungslos in den grün bezogenen Kissen lag, wirkte sie so zeitlos wie eine verzauberte Prinzessin, die auf den Kuss wartet, der sie aus ihrem hundertjährigen Schlaf erwecken wird.
Die einzigen Lebenszeichen waren die regelmäßigen Atemzüge, bei denen ihre Brust sich leicht hob und senkte, sowie die geringfügige Bewegung ihrer Kehle, wenn sie von Zeit zu Zeit Speichel schluckte, was ein reiner Reflex war und keineswegs ein Hinweis auf irgendein noch so geringfügiges bewusstes Wahrnehmungsvermögen.
Ihr Gehirnschaden war sehr schwer und unheilbar. Diese Bewegungen waren buchstäblich die einzigen, die sie jemals würde machen können, bis schließlich irgendwann der Tod eintreten würde. Es gab keine Hoffnung. Jack wusste, dass es keine Hoffnung gab, und er hatte deshalb ihren Zustand akzeptiert.
Sie hätte wesentlich schlimmer ausgesehen, wenn ihr nicht hier im Sanatorium sorgfältigste Pflege zuteil geworden wäre.
Jeden Tag führte gut ausgebildetes Personal ein passives Bewegungstraining durch. Ihre Muskelspannung war nicht sehr stark, aber immerhin hatte sie einen Tonus.
Lange Zeit stand Jack da, hielt ihre Hand und blickte auf sie hinab. Seit sieben Jahren besuchte er sie zweimal wöchentlich am Abend und brachte an jedem Sonntagnachmittag und manchmal auch noch an anderen Nachmittagen fünf oder sechs Stunden an ihrem Bett zu. Aber trotz dieser häufigen Besuche und trotz ihres stets unveränderten Zustandes wurde er nie müde, sie anzusehen.
Er zog einen Stuhl heran und setzte sich neben ihr Bett; während er weiterhin ihre Hand hielt und ihr Gesicht betrachtete, sprach er mehr als eine Stunde zu ihr. Er erzählte ihr von einem Film, den er seit dem letzten Besuch gesehen hatte, von zwei Büchern, die er gelesen hatte. Er redete vom Wetter, beschrieb ihr den heftigen, kalten Winterwind. Er schilderte ihr bildhaft die schönsten Weihnachtsdekorationen, die er in Schaufenstern gesehen hatte.
Sie belohnte ihn mit keinem einzigen Laut, keiner einzigen Geste. Sie lag da wie immer, regungslos, unerreichbar.
Trotzdem sprach er zu ihr, denn er hielt es für möglich, dass doch ein winziges Fragment ihres Wahrnehmungsvermögens überlebt haben könnte, ein schwacher Funke in der Tiefe des schwarzen Schachtes ihres Komas. Vielleicht konnte sie hören und verstehen, und in diesem Falle war es für sie am schlimmsten, in einem
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