Schwarzer Mond: Roman
zurück. Eine Zeitlang saß er im Dunkeln und schaute aus dem Fenster auf den Park hinab, wo alle Lichter vom schneebedeckten Boden reflektiert wurden und bizarre Schatten in den kahlen Bäumen erzeugten.
Er war sich bewusst, dass er sich einfach noch einen Aufschub gönnen wollte. Schließlich schaltete er die Leselampe neben dem Lehnstuhl ein, öffnete den kleineren der beiden Säcke und begann ihn zu leeren.
Juwelen. Diamantohrringe, Diamantkolliers, funkelnde Diamantanhänger. Ein Diamant-und Smaragdarmreif. Drei Armreife, besetzt mit Diamanten und Saphiren. Ringe, Broschen, Haarspangen, Krawattennadeln, Hutnadeln.
Das war die Ausbeute eines Raubes, den er vor sechs Wochen im Alleingang ausgeführt hatte. Eigentlich wären zwei Mann dafür erforderlich gewesen, aber durch gründliche und einfallsreiche Planung hatte er eine Möglichkeit gefunden, allein zurechtzukommen, und alles hatte großartig geklappt.
Das einzige Problem war, dass dieser Raub ihm keine Befriedigung verschafft hatte. Wenn er einen Job erfolgreich ausgeführt hatte, war er normalerweise noch Tage danach in großartiger Stimmung. Von seinem Standpunkt aus beging er nicht einfach Verbrechen, sondern übte Vergeltung an der redlichen Welt, zahlte ihr heim, was sie ihm und Jenny angetan hatte. Bis zum Alter von 29 Jahren hatte er der Gesellschaft viel gegeben, hatte seinem Land gedient, und zur Belohnung hatte man ihn in einem zentralamerikanischen Höllenloch, im Gefängnis einer Diktatur, einfach seinem Schicksal überlassen, und sein Land hätte sich einen Dreck darum gekümmert, wenn er dort verfault wäre. Und Jenny ... Er konnte es nicht ertragen, an den Zustand zu denken, in welchem er sie damals vorgefunden hatte, nachdem ihm endlich die Flucht gelungen und er nach Hause gekommen war. Nun gab er der Gesellschaft nichts mehr, sondern nahm ihr, was er nur konnte, und das verschaffte ihm eine enorme Befriedigung. Die Gesetze zu brechen, sich zu nehmen, was er wollte, ohne geschnappt zu werden - das hatte stets sein Herz erfreut. Bis zu jenem Juwelenraub vor sechs Wochen. Damals hatte er kein Triumphgefühl verspürt, es hatte sich keine Freude über die gelungene Vergeltung eingestellt. Und das bekümmerte ihn. Denn wofür lebte er schließlich, wenn nicht für dieses erregende Gefühl? Während er nun im Lehnstuhl am Fenster saß, die Juwelen auf seinem Schoß aufhäufte und einzelne besonders schöne Stücke ins Licht hielt, bemühte er sich vergeblich, jenes Hochgefühl vollzogener Rache in sich wachzurufen.
Eigentlich hatte er den Schmuck gleich in den ersten Tagen nach dem Raub loswerden wollen; aber dann hatte es ihm widerstrebt, sich davon zu trennen, ohne auch nur die geringste Befriedigung davon gehabt zu haben.
Verwirrt über seinen Mangel an Empfindungen, legte er die Schmuckstücke in den Sack zurück.
Der zweite Sack enthielt seinen Anteil der Beute aus dem Überfall auf das Mafia-Warenlager vor fünf Tagen. Sie hatten nur einen der beiden Safes öffnen können, aber dieser hatte über
3.100.000 Dollar enthalten -mehr als eine Million für jeden von ihnen, in unauffälligen Zwanzigern, Fünfzigern und Hundertern.
Er hätte inzwischen schon anfangen sollen, diese enorme Summe mit geeigneten Mitteln auf seine Schweizer Konten zu transferieren. Aber er behielt das Bargeld noch, weil es ihm - wie die Juwelen - bisher kein Triumphgefühl verschafft hatte.
Er holte dicke Bündel Banknoten aus dem Sack, drehte und wendete sie in seinen Händen. Er hielt sie dicht ans Gesicht und roch an ihnen. Normalerweise war allein schon der einzigartige Geruch des Geldes erregend -aber diesmal nicht. Er kam sich nicht intelligent, geschickt und über den Gesetzen stehend vor; er fühlte sich jenen gehorsamen Mäusen nicht überlegen, die durch den Irrgarten der Gesellschaft huschten, wie man es sie gelehrt hatte. Er fühlte sich nur grenzenlos leer.
Wenn diese Veränderung erst nach dem Coup im Warenlager eingetreten wäre, hätte er sie damit erklärt, dass er das Geld anderen Dieben und nicht der ach-so-edlen Welt gestohlen hatte.
Aber seine Reaktion auf den Schmuckdiebstahl war genau die gleiche gewesen, und jenen Raub hatte er auf ein ganz normales Juweliergeschäft verübt. Das unbefriedigende Gefühl nach dem gelungenen Juwelendiebstahl hatte ihn ja überhaupt erst veranlasst, den nächsten Coup schon nach so kurzer Zeit auszuführen.
Normalerweise ließ er immer mindestens drei bis vier Monate verstreichen, aber diesmal waren es
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