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Schwarzer Mond: Roman

Schwarzer Mond: Roman

Titel: Schwarzer Mond: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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Dieses Haus wäre selbst für einen so erfolgreichen Chirurgen wie George Hannaby vermutlich unerschwinglich gewesen, aber er hatte es nicht käuflich erwerben müssen. Er hatte diesen Besitz von seinem Vater geerbt, der ihn seinerseits von Georges Großvater geerbt hatte, und dessen Vater hatte das Haus im Jahre 1854 gekauft. Es hatte sogar einen Namen -Baywatch - wie vornehme Herrenhäuser in britischen Romanen, und das erfüllte Ginger mehr als alles andere mit Ehrfurcht. Häuser in Brooklyn, wo sie aufgewachsen war, pflegten keine Namen zu haben.
    In der Klinik fühlte sich Ginger in Georges Gegenwart nie unbehaglich. Dort war er zwar eine Respektsperson mit großer Autorität, schien aber die gleichen Wurzeln zu haben wie alle anderen. Auf Baywatch kam Ginger seine patrizische Herkunft jedoch deutlich zu Bewusstsein, und sie spürte den Unterschied zwischen ihm und sich selbst. Er beanspruchte niemals - auch nicht andeutungsweise - irgendwelche Privilegien. Das entsprach nicht seinem Charakter. Aber das Gespenst des Patriziertums von Neuengland geisterte durch die Räume und Korridore von Baywatch und gab Ginger oft das Gefühl, hier fehl am Platz zu sein.
    Die Gästesuite -Schlafzimmer, Lesealkoven und Bad -, in der Ginger seit zehn Tagen wohnte, war schlichter als viele der übrigen Räume in Baywatch, und hier fühlte sie sich fast so wohl wie in ihrer eigenen Wohnung. Der Eichenboden war zum größten Teil mit einem gemusterten Serapi-Teppich in blauen und pfirsichfarbenen Farbtönen bedeckt. Die Wände waren pfirsichfarben, die Decke weiß. Die Ahornmöbel waren im 19. Jahrhundert auf Segelschiffen, die Georges Urgroßvater gehört hatten, ins Land gebracht worden. Zwei gepolsterte Lehnstühle mit pfirsichfarbenen Seidenbezügen stammten von Brunschwig & Fils. Die Sockel der Lampen auf den Nachttischen waren ursprünglich Baccarat-Kerzenleuchter gewesen. All das erinnerte daran, dass die scheinbare Schlichtheit des Zimmers eine elegante Grundlage hatte.
    Ginger ging zur Kommode und betrachtete die schwarzen Handschuhe auf dem Häkeldeckchen. Wie sie es in den letzten zehn Tagen schon unzählige Male getan hatte, zog sie die Handschuhe an, bewegte ihre Hände, ballte sie zu Fäusten und wartete darauf, dass sie in Panik geraten würde. Aber es waren nur ganz gewöhnliche Handschuhe, die sie am Tag ihrer Entlassung aus dem Krankenhaus gekauft hatte, und sie besaßen nicht die Macht, sie an den Rand einer Fugue zu bringen. Sie streifte sie ab.
    Es klopfte an der Tür, und Rita Hannaby fragte: »Ginger, sind Sie fertig?«
    »Ich komme«, rief sie, nahm ihre Handtasche vom Bett und betrachtete sich ein letztes Mal im Spiegel.
    Sie trug ein lindgrünes Strickkostüm und eine cremefarbene Bluse mit lindgrüner Schleife am Hals; grüne Pumps, eine genau dazu passende grüne Handtasche und ein goldenes Armband mit Malachiten vervollständigten ihre Aufmachung. Das zarte Grün passte großartig zu ihrem Teint und zu ihren silberblonden Haaren. Sie fand sich geradezu schick. Nun ja, schick vielleicht doch nicht, aber wenigstens geschmackvoll gekleidet.
    Als sie jedoch Rita Hannaby im Korridor sah, bekam sie sofort wieder Komplexe, hatte das Gefühl, von wahrer Eleganz meilenweit entfernt zu sein.
    Rita war fast so schlank wie Ginger, aber mit ihren einsdreiundsiebzig war sie fünfzehn Zentimeter größer, und sie hatte etwas Majestätisches an sich. Ihre kastanienbraunen Haare waren perfekt frisiert. Ihre Backenknochen waren zwar etwas zu breit, aber ihre leuchtenden grauen Augen, die zarte Haut und der Mund strahlten Wärme und Schönheit aus. Sie trug ein graues Kostüm, einen schwarzen, breitkrempigen Hut, eine Perlenkette und Perlohrringe.
    Was Ginger jedoch am meisten bewunderte, war, dass Ritas Eleganz nichts Aufgesetztes an sich hatte. Man hatte nicht das Gefühl, dass sie sich stundenlang zurechtgemacht hatte, sie sah vielmehr aus, als wäre sie schon in maßgeschneiderter Garderobe zur Welt gekommen. Perfekter Schick schien ihr einfach angeboren zu sein.
    »Sie sehen hinreißend aus«, sagte Rita.
    »Neben Ihnen komme ich mir wie ein ungepflegter Teenager in Jeans und Sweatshirt vor.«
    »Unsinn! Selbst wenn ich zwanzig Jahre jünger wäre, könnte ich nicht mit Ihnen konkurrieren. Sie werden ja sehen, wen die Ober im Restaurant besonders aufmerksam bedienen werden.«
    Falsche Bescheidenheit war Ginger fremd. Sie wusste, dass sie attraktiv war. Aber ihre Schönheit hatte etwas Feenhaftes, während Ritas

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