Schwarzer Mond: Roman
etwas nicht stimmte. Aber er fuhr beharrlich fort, sich zu verstellen und den glücklichen Marine im Ruhestand zu spielen, dem eine zweite erfolgreiche Karriere im Hotelgewerbe geglückt war. Sie hatte beobachtet, wie er von einem inneren Feuer verzehrt wurde, dessen Ursache sie nicht kannte, aber er hatte ihre subtilen und geduldigen Bemühungen, ihn zum Reden zu bringen, überhaupt nicht wahrgenommen.
In den letzten Wochen, seit ihrer Rückkehr aus Wisconsin, war ihr dann immer stärker aufgefallen, dass es ihm zutiefst zuwider war, nachts ins Freie zu gehen, dass er fast außerstande dazu war. Und auch im Haus schien er sich nicht wohl fühlen zu können, solange nicht sämtliche Lampen im Zimmer brannten.
Als sie nun in der Küche saßen - dampfende Kaffeetassen vor sich, die Jalousien fest geschlossen, alle Lampen eingeschaltet -, lauschte Faye aufmerksam Ernies Bericht und unterbrach ihn nur, wenn er offensichtlich ein Wort der Ermutigung brauchte, um fortfahren zu können. Sie fühlte sich durch sein Problem keineswegs überfordert. Ganz im Gegenteil, ihre Stimmung hob sich merklich, denn sie glaubte zu wissen, was ihm fehlte und wie ihm geholfen werden konnte.
Mit leiser, dünner Stimme kam er zum Schluss. »Ist das nun der Lohn für all die Jahre harter Arbeit und sorgfältiger finanzieller Planung? Vorzeitige Senilität? Soll ich jetzt, wo wir erst so richtig anfangen können zu genießen, was wir uns aufgebaut haben, den Verstand verlieren, wirres Zeug faseln, geifern, mir in die Hose pissen und mir selbst und dir nur eine Last sein? Zwanzig Jahre vor der Zeit? Mein Gott, Faye, ich wusste zwar immer, dass es im Leben nicht gerecht zugeht, aber ich habe doch nie geglaubt, dass die Spielkarten zu meinen Ungunsten so falsch gemischt sein könnten.«
»Zu all dem wird es nicht kommen.« Faye nahm seine Hand.
»Sicher, die Alzheimersche Krankheit kann sogar jüngere Leute als dich treffen, aber du hast sie bestimmt nicht. Nach allem, was ich gelesen habe, und auch nach meinen eigenen Erfahrungen mit meinem Vater glaube ich nicht, dass Senilität -ob nun vorzeitige oder sonstige - jemals auf diese Weise beginnt. Meiner Meinung nach ist es eine einfache Phobie. Eine Phobie, weiter nichts. Manche Leute haben unerklärliche Ängste vor dem Fliegen, oder sie haben Höhenangst. Und du hast eben aus irgendeinem Grunde Angst vor der Dunkelheit. Dagegen lässt sich etwas machen.«
»Aber Phobien entstehen doch nicht von einem Tag auf den anderen, oder?«
Sie drückte seine Hand, die sie immer noch umfangen hielt.
»Erinnerst du dich noch an Helen Dorfman? Es liegt fast 24 Jahre zurück. Unsere Vermieterin, als du zum erstenmal in Camp Pendleton stationiert warst?«
»Aber ja! Das Haus in der Vine Street, sie wohnte in Nr. 1 im Erdgeschoss. Wir hatten Nr. 6.« Es schien ihn zu ermutigen, dass er sich noch an all diese Einzelheiten erinnern konnte. »Sie hatte eine Katze ... >Sable< hieß sie ... Weißt du noch, wie diese verdammte Katze eine Vorliebe für uns bekam und uns kleine Geschenke vor die Haustür legte?«
»Tote Mäuse!«
»Ja, direkt neben die Morgenzeitung und die Milch.« Er lachte, dann sagte er: »He, jetzt geht mir ein Licht auf, warum du Helen Dorfman erwähnt hast! Sie hatte Angst, ihre Wohnung zu verlassen. Brachte es nicht einmal fertig, auf ihren Rasen hinauszugehen.«
»Die arme Frau litt unter Agoraphobie«, sagte Faye. »Unter Platzangst, irrationaler Furcht vor offenen Plätzen. Sie war eine Gefangene in ihrem eigenen Haus. Draußen wurde sie von Angst überwältigt. Ich glaube, die Ärzte nennen das einen >Panikanfall<.«
»Panikanfall«, wiederholte Ernie leise. »Ja, das trifft die Sache genau.«
»Und Helen bekam ihre Platzangst erst mit fünfunddreißig, nach dem Tod ihres Mannes. Phobien können plötzlich auftreten, zu irgendeinem Zeitpunkt des Lebens.«
»Nun, was immer zum Teufel eine Phobie auch sein mag und woher sie kommt -sie ist mir weitaus lieber als Senilität. Aber ich will nicht für den Rest meines Lebens Angst vor der Dunkelheit haben.«
»Das brauchst du auch nicht«, sagte Faye. »Vor 24 Jahren verstand niemand etwas von Phobien. Sie waren noch nicht richtig erforscht, und es gab keine wirksamen Behandlungsmethoden.
Aber das ist heute ganz anders, dessen bin ich mir sicher.«
Nach kurzem Schweigen murmelte er: »Ich bin nicht verrückt, Faye.«
»Das weiß ich doch, du Riesendummkopf.«
Er grübelte über das Wort >Phobie< nach und wollte glauben, dass
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