Schwarzer Mond über Soho: Roman (German Edition)
manchmal leicht auf.«
Sie trat zurück und sah mich an. »Aber das, was sie gesagt hat – ich weiß nicht, wie sie darauf kam, dass ich – was wollte sie nur?«
»Sie nimmt Medikamente«, sagte ich.
»Ich verstehe nicht. Was …?«
»Es geht ihr nicht gut.«
»Soll das heißen, sie ist verrückt?«
Ich sah angemessen betroffen drein.
»Oh«, sagte sie. »Du Armer. Oh je. Wir können wohl nicht zurück, oder? Und ich hatte mich so darauf gefreut, deinen Dad spielen zu hören.«
Ich bemerkte, dass die Gäste im KFC uns beobachteten. Vielleicht hielten sie uns für ein Straßentheater. »Es gibt bestimmt mal eine andere Gelegenheit. Wie wär’s stattdessen mit einem gemütlichen Abend chez Peter?«
»Nicht wieder die Chaiselongue. Ich habe immer noch einen Krampf im Rücken.«
»Ich hab ein bisschen Kuchen da.«
»Sehr verdächtig«, sagte sie. »Als hättest du nach dem Konzert mit Besuch gerechnet. Wen wolltest du denn einladen?«
Ich legte ihr den Arm um die Schultern und zog sie sanft die Straße entlang in Richtung Camden Town. »Ihr Ton gefällt mir nicht, junge Dame.«
»Wo hast du den Kuchen gekauft?«, wollte sie wissen. »Tesco?«
»Marks & Spencer.«
Sie seufzte und lehnte sich enger an mich. »Du kennst mich so gut.«
Für die Rückfahrt zum Folly winkte ich uns ein Taxi heran. Es erschien mir angeraten.
In der Remise nahm sie sich einen Moment Zeit, um vor meinem provisorischen Rasierspiegel ihr Gesicht wieder in Ordnung zu bringen. »Sehe ich schrecklich aus? In diesem mickrigen Spiegel kann man ja nichts erkennen.«
Ich sagte, sie sei wunderschön, und das stimmte auch. Der Handabdruck meiner Mum auf ihrer Wange, der noch im Taxi knallrot gewesen war, begann zu verblassen, und sie hatte ihren Lippenstift nachgezogen. Von dem durchsichtigenTop war immerhin noch so viel übrig, dass ich es ihr am liebsten ganz heruntergerissen hätte, und vor Verlangen war mir heiß und schwindelig. Ich konzentrierte mich darauf, die richtige Playlist in meinen iPod einzuprogrammieren und zu kontrollieren, ob er auch an die Lautsprecher angeschlossen war.
»Ich hatte dir doch Kuchen versprochen«, sagte ich, als sie auf mich zukam.
So leicht ließ sie sich nicht ablenken. »Später.« Sie schlang mir die Arme um die Taille und ließ eine Hand unter mein Hemd gleiten. Ich griff nach dem iPod und drückte auf Play.
»Was ist das?«, fragte sie, als die Musik anfing.
»Coleman Hawkins.
Body and Soul
.« Es war das falsche Stück. Eigentlich hatte ich mit Billie Holiday anfangen wollen.
»Tatsächlich?«, fragte sie. »Weißt du, als Aufnahme klingt es einfach nicht echt.«
Ich schob meine Hand unter ihre Jacke und zog sie an mich. Ihre Haut fühlte sich heiß und fiebrig an.
»Mmm…«, sagte sie, beugte sich vor und biss meinen obersten Hemdknopf ab.
»Hey«, sagte ich.
»Ausgleichende Gerechtigkeit.«
»Hast du ihn jemals spielen hören?«, fragte ich. »Hawkins?«
»Oh ja«, hauchte sie. »Die Leute wollten dieses Stück ständig hören – es hat ihn schier wahnsinnig gemacht.« Sie biss den zweiten Knopf ab und küsste mich auf die nackte Brust. Ihre Zunge glitt an meinem Schlüsselbein entlang.
Da roch ich es. Geißblatt und darunter zerborstene Ziegelsteine und gesplittertes Holz. Wie hatte ich das je für ihr Parfüm halten können?
»Hat Cyrus auch
Body and Soul
gespielt?«
»Cyrus? Wer ist das?« Sie biss einen dritten Knopf ab. Viele waren nicht mehr übrig.
»Du warst mal mit ihm zusammen. Du hast sogar bei ihm gewohnt.«
»Wirklich? Es kommt mir so lange her vor.« Sie küsste mich wieder. »Ich habe ihnen so gern beim Spielen zugehört.«
»Wem?«
»All meinen herrlichen Jazzern. Es war am allerschönsten, wenn sie spielten. Der Sex, das Zusammensein – das war ganz nett, aber wenn sie spielten, war ich wirklich am glücklichsten.«
Ich stöhnte auf, weil der nächste Titel die John-Coltrane-Version war. Hatte ich aus Versehen auf zufällige Wiedergabe gedrückt? Zu seinem
Body and Soul
kann man unmöglich tanzen. Erstens bleibt er nie länger als drei Sekunden bei der eigentlichen Melodie, und zweitens haut er nach ein paar Takten in diesen wilden Musikdschungel ab, wohin nur Leute wie mein Dad ihm folgen können. Ich steuerte uns zum Kühlschrank hinüber und klickte unterwegs verstohlen den nächsten Titel an. Gott sei Dank, es war Nina Simone, eine junge Nina mit einer Stimme, bei der selbst eine Eisskulptur auf einer Konferenz schottischer Banker
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