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Schwarzer Mond über Soho: Roman (German Edition)

Schwarzer Mond über Soho: Roman (German Edition)

Titel: Schwarzer Mond über Soho: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ben Aaronovitch
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dahingeschmolzen wäre.
    »Was war mit Lord Grant?« Ich musste einfach fragen.
    »Das war der, der sich verdrückte«, sagte sie. »Es hieß, er könnte ein englischer Clifford Brown werden, aber erverschwand andauernd von der Bildfläche. Cherie war so sauer. Weißt du, sie hatte es auf ihn abgesehen. Einmal behauptete sie, sie hätte es geschafft, aber dann machte er sich dünne.« Sie lächelte. »Ich glaube, im Grunde war ich mehr sein Typ, und wer weiß, was noch passiert wäre, aber er hatte diese furchterregende Frau.«
    »Furchterregend?«
    »Ganz schrecklich. Aber das müsstest du doch wissen, schließlich ist sie deine   –« Simone erstarrte und sah mich stirnrunzelnd an, aber ich wiegte sie wieder zurück in den Tanz. Ich konnte richtig beobachten, wie die Erinnerung aus ihren Augen schwand.
    »Hast du Jazz schon immer so geliebt?«, fragte ich.
    »Schon immer.«
    »Auch in der Schule?«
    »Wir hatten eine recht wunderliche Musiklehrerin«, erzählte sie. »Miss Patternost. Sie lud ihre Lieblingsschülerinnen immer zum Tee ein, dann spielte sie uns Platten vor und sagte, wir sollten mit der Musik ›in Verbindung treten‹.«
    »Warst du eine von ihren Lieblingsschülerinnen?«
    »Natürlich.« Wieder schmuggelte sich ihre Hand unter mein Hemd. »Ich war immer der Liebling. Deiner bin ich doch auch, oder?«
    »Absolut«, sagte ich. »Und Cherie und Peggy, waren das auch Lieblinge von ihr?«
    »Ja. Wir haben praktisch in Miss Patternosts Zimmer gewohnt.«
    »Das heißt, du und deine Schwestern seid auf dieselbe Schule gegangen?«
    »Sie sind nicht wirklich meine Schwestern. Sie sind wieSchwestern   – die Schwestern, die ich niemals hatte. Wir haben uns in der Schule kennengelernt.«
    »Wie hieß denn die Schule?« Wenn ich die hatte, konnte ich wahrscheinlich alle drei genau identifizieren.
    »Cosgrove Hall«, sagte Simone. »In der Nähe von Hastings.«
    »War’s schön dort?«
    »Ich denke, es war schon in Ordnung. Die Lehrer waren nicht zu grausam zu uns, und wir hatten einen eigenen Reitstall   – und Miss Patternost natürlich. Sie schwärmte für Elisabeth Welch.
Stormy Weather
war ihr Lieblingsstück. Wir mussten uns immer auf den Teppich legen   – sie hatte einen herrlichen Orientteppich, ich glaube, original aus Persien   – und uns im Geiste dazu Bilder ausdenken.«
    Ich fragte, was sie für Platten gehört hätten. Simone sagte, es sei fast immer Jazz gewesen, Fletcher Henderson, Duke Ellington, Fats Waller und natürlich Billie Holiday. Miss Patternost pflegte zu sagen, der Jazz sei der große Beitrag der Neger zur Weltkultur, und diese könnten ihretwegen so viele Missionare verspeisen wie sie wollten, solange sie weiterhin so schöne Musik produzierten. Schließlich, so Miss Patternost, wurden von den verschiedenen Kirchen jede Woche Hunderte von Missionaren auf die Welt losgelassen, aber einen Louis Armstrong gab es nur einmal.
    Als einstiger Platten-Handlanger meines Dad wusste ich, dass einige dieser Aufnahmen diesseits des Großen Teichs nur sehr schwer zu bekommen gewesen waren. Auf meine Frage, woher sie kamen, erzählte mir Simone von Sadie, einer Freundin von Miss Patternost.
    »Hatte die auch einen Nachnamen?«
    Simone hörte einen Moment lang damit auf, mir das Hemd aus der Hose zu zerren. »Warum willst du das wissen?«
    »Polizisten sind einfach von Natur aus neugierig.«
    Soweit Simone und die anderen Mädchen wussten, wurde Sadie immer nur »Sadie« genannt. »So hat Miss Patternost sie auch stets vorgestellt.«
    Es kam nie zur Sprache, wie Sadie ihren Lebensunterhalt bestritt, aber aus den Gesprächen konnten die Mädchen schließen, dass sie in Hollywood in der Filmindustrie arbeitete und mit Miss Patternost schon fünfzehn Jahre lang einen leidenschaftlichen Briefwechsel führte. Zusätzlich zu den beinahe täglichen Briefen schickte sie etwa einmal im Monat ein Paket in braunem Packpapier, das mit starker Schnur umwickelt war und auf dem VORSICHT! ZERBRECHLICH! stand. Das waren die kostbaren Platten von Vocalion, Okeh und Gennett. Einmal im Jahr, immer kurz vor den Osterferien, reiste Sadie selbst an und zog sich mit Miss Patternost in deren Gemächer zurück, aus denen sodann bis in die frühen Morgenstunden ununterbrochen Jazz zu hören war. Skandalös, raunten die Mädchen aus der Unterprima. Aber Simone, Peggy und Cherie war das egal.
    »Zerstoßene Käfer«, sagte Simone plötzlich.
    »Was?«, fragte ich und wünschte, ich hätte mein Handy nicht

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