Schwarzer Mond über Soho: Roman (German Edition)
Inzwischen kannte ich meinen Wolfe. »Für Vampire ist
Tactus disvitae
, Antileben, ein zentrales Kennzeichen. Das hier ist eher wie eine Sucht, wie Drogen oder Alkohol; dass andere dabei zu Schaden kommen, ist eine unerwünschte Nebenwirkung wie Gicht oder Leberzirrhose.«
»Menschen sind keine Schnapsflaschen«, sagte Nightingale. »Und Wolfe war immer zu sehr darauf bedacht, alles in Kategorien und Subkategorien einzuteilen. Namen sind Schall und Rauch. Egal – wohin könnte sie gegangen sein?«
»Am ehesten in die Wohnung in der Berwick Street«, vermutete ich.
»Zurück in den Bau.«
Mir gefiel nicht, wie er das sagte.
Dr. Walid reichte mir ein paar Schmerztabletten und eine halbe Flasche Diätcola, die er vermutlich im Kühlschrank gefunden hatte. Als ich sie aufschraubte, zischte es nicht, und es schmeckte schal, als ich die Tabletten damit hinunterspülte – sie musste schon Ewigkeiten da drin gestanden haben.
Er setzte sich neben mich aufs Sofa und legte mir die Hand auf den Arm. »Wenn Ihr Vater wirklich irgendwann in der Vergangenheit nähere Bekanntschaft mit Simone gemacht haben sollte, müsste sich das feststellen lassen. Bringen Sie ihn doch morgen Nachmittag ins UCH.« Dann zeigte er auf Nightingale. »Und Sie liegen spätestens in einer halben Stunde mit einer heißen Milch und einer Schlaftablette im Bett.«
»Aber es –« sagte Nightingale.
Dr. Walid ließ ihn gar nicht weiterreden. »Wenn Sie meinen Anweisungen keine Folge leisten, schwöre ich beim Leben meines Vaters, dass ich Sie beide dienstunfähig schreibe. Haben Sie mich verstanden?«
Wir nickten demütig.
»Gut. Wir sehen uns morgen.«
Später in der Küche, wo wir bei Molly ein heißes Getränk beantragten, fragte mich Nightingale, ob Dr. Walid wirklich die Autorität besaß, seine Drohung wahrzumachen. »Ich glaube schon«, sagte ich. »Er wird als offizieller medizinischer Betreuer unserer Einheit geführt. Wenn wir hier Zellen hätten und unsere Gefangenen medizinische Hilfe bräuchten, wäre er zuständig. Haben wir Zellen?«
»Nicht mehr. Nach dem Krieg wurden sie alle zugemauert.«
»Jedenfalls«, sagte ich, »sollten wir vielleicht bessernicht versuchen herauszufinden, wie weit seine Autorität reicht.«
Ehrerbietig reichte Molly Nightingale einen Becher heiße Schokolade. »Danke«, sagte er.
»Und ich?«, fragte ich.
Molly nahm Tobys Leine und schwenkte sie vor meiner Nase hin und her.
»Nicht schon wieder ich.«
»Ich muss Bettruhe halten«, sagte Nightingale. »Ärztlich verordnet.«
Ich sah auf Toby hinab, der sich halb hinter Mollys Röcken versteckt hatte. Er gab ein schüchternes kleines Kläffen von sich.
»Du weißt, dass du dir hier keine Freunde machst«, sagte ich.
Ich durfte zusehen, wie Dr. Walid meinen Vater in den Kernspintomografen einspeiste. Er erklärte, es sei ein 3. 0-Tesla -Gerät, was hervorragend sei, aber eigentlich könne die Uniklinik noch eines davon gebrauchen, so groß sei der Bedarf.
In der Röhre gibt es ein Mikrofon, damit man es hören kann, wenn der Patient Probleme bekommt. Ich konnte meinen Vater summen hören.
»Was ist das für ein Geräusch?«, fragte Dr. Walid.
»Dad«, sagte ich. »Er singt
Ain’t Misbehavin’
.«
Dr. Walid ließ sich vor einem Kontrollpult nieder, das so kompliziert aussah, dass man damit vermutlich auch einen Satelliten in die Erdumlaufbahn schießen oder einen Top-Ten-Hit abmischen konnte. Die Magnettrommel setzte sich mit einem grässlichen Klappern in Bewegung.Bei so einem Geräusch sollte man sein Auto besser so schnell wie möglich in die nächste Werkstatt bringen. Meinen Dad schien es nicht zu stören, ich bemerkte nur, wie sein Summen sich dem Rhythmus der Maschine anpasste.
Die Messungen dauerten lange, und nach einer Weile kam durch das Mikrofon leises Schnarchen.
Dr. Walid sah mich an und hob eine Augenbraue.
»Wenn man schlafen kann, während meine Mum telefoniert, kann man es auch in so ziemlich allen anderen Lebenslagen.«
Als er mit meinem Dad fertig war, drehte er sich zu mir um und befahl mir, mich auszuziehen und in das Ding zu steigen.
»Was?«
»Vermutlich hat Simone auch Ihnen Energie abgezapft.«
»Aber ich bin kein Jazzer«, sagte ich. »Ich mag Jazz nicht mal besonders.«
»Das sind Spekulationen, Peter. Diese ganze Jazzgeschichte kann lediglich ein Nebenaspekt sein. Wenn Ihre Freundin zu einer unkategorisierten Spezies vom Thaumatovoren gehört, können wir nicht wissen, was
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