Schwarzer Mond über Soho: Roman (German Edition)
Parkplatz umfunktioniert worden war. Dort fand ich noch eine Lücke zwischen einem Toyota Aygo und einem ramponierten Mercedes, dessen Lackierung eigentlich als Straftatbestand zu werten war. Ich parkte, stieg aus, ließ das Schloss hinter mir zuschnappen und ging im sicheren Wissen davon, dass man mich hier kannte und deshalb niemand mein Auto aufbrechen würde. Genau das bedeutet es, auf deinem Terrain zu sein. Obwohl ich, ehrlich gesagt, den Verdacht hatte, dass die örtlichen jugendlichen Krawallbrüder mehr Angst vor meiner Mum hatten als vor mir. Das Schlimmste, was
ich
ihnen antun konnte, war, sie zu verhaften.
Als ich die Wohnungstür meiner Eltern öffnete, drang erstaunlicherweise Musik an meine Ohren –
The Way You Look Tonight
, solo auf dem Klavier gespielt. Es kam aus dem Schlafzimmer. Auf dem guten Sofa im Wohnzimmer lag meine Mum. Sie hatte die Augen geschlossen und noch ihre Arbeitsklamotten an – Jeans, grauer Pullover und Kopftuch mit Paisleymuster. Schockiert sah ich, dass die Stereoanlage ausgeschaltet war und nicht einmal der Fernseherlief. Bei meinen Eltern läuft
immer
der Fernseher – sogar bei Leichenfeiern. Vor allem bei Leichenfeiern.
»Mum?«
Ohne die Augen zu öffnen, legte sie den Finger an die Lippen und deutete in Richtung Schlafzimmer.
»Ist das Dad?«
Die Lippen meiner Mum verzogen sich ganz langsam zu einem glückseligen Lächeln, das ich nur von alten Fotos kannte. Das dritte und letzte Revival meines Dad in den frühen Neunzigern hatte geendet, als er kurz vor einem geplanten Auftritt bei BBC Two plötzlich seinen Ansatz verlor. Die nächsten anderthalb Jahre hatte ich meine Mum nicht mehr als jeweils zwei Worte mit ihm wechseln hören. Ich glaube, sie nahm es persönlich. Nur bei Prinzessin Dianas Begräbnis habe ich sie ähnlich außer sich erlebt, aber ich denke mal, das hat sie irgendwie genossen – auf kathartische Weise.
Die Musik ging weiter, suchend und tiefempfunden. Mir fiel wieder ein, dass meine Mum irgendwann, nachdem sie sich zum wiederholten Male
Buena Vista Social Club
zu Gemüte geführt hatte, meinem Dad ein Keyboard gekauft hatte, aber ich hatte keine Ahnung, dass er sich beigebracht hatte, darauf zu spielen.
Ich zwängte mich in die enge Küche und machte uns eine Tasse Tee. Irgendwann endete das Stück. Ich hörte, wie meine Mum sich bewegte und seufzte. Ich mag Jazz eigentlich gar nicht besonders, aber in meiner Kindheit wurde ich von meinem Dad so oft als Vinyl-Handlanger eingesetzt, um Schallplatten zwischen seiner Sammlung und dem Plattenspieler hin- und herzutragen, wenn es ihm nicht gutging, dass ich guten Jazz erkenne, wenn ichihn höre. Dad spielte jetzt
All Blues
, machte aber keine allzu abgehobenen Experimente damit, ließ einfach nur die melancholische Schönheit des Stücks durchscheinen. Ich ging zurück ins Wohnzimmer, stellte die Tasse für meine Mum auf den Beistelltisch aus Walnussnachbildung, setzte mich und sah ihr zu, wie sie Dads Spiel lauschte, solange es währte.
Es währte aber nicht ewig, nicht einmal besonders lang. Wie auch? Irgendwann kam Dad die Melodie abhanden, und er beendete die Sache mit einem geräuschvollen Tastenklirren. Mum seufzte und setzte sich auf.
»Was machst du hier?«, wollte sie wissen.
»Ich muss Dad was fragen.«
»Gut.« Sie nahm einen Schluck von dem Tee. »Der ist ja kalt.« Sie schob mir die Tasse hin. »Mach mir einen neuen.«
Während ich in der Küche war, kam Dad ins Wohnzimmer. Ich hörte, wie er Mum begrüßte, dann folgte ein seltsames saugendes Geräusch, und mit Schrecken begriff ich, dass sie sich küssten. Fast hätte ich den Tee verschüttet.
»Hör auf«, hörte ich Mum flüstern. »Peter ist da.«
Mein Dad steckte den Kopf in die Küche. »Das kann nichts Gutes bedeuten. Krieg ich auch einen Tee?«
Ich zeigte ihm die Tasse, die ich schon bereitgestellt hatte.
»Ausgezeichnet«, sagte er.
Als ich uns alle mit Tee versorgt hatte, fragte Dad, was mich herführte. Sie hatten allen Grund, misstrauisch zu sein, denn bei meinem letzten unerwarteten Besuch hatte ich gerade Covent Garden abgefackelt – mehroderweniger.
»Ich bräuchte deine Hilfe bei einer Jazzangelegenheit«, sagte ich.
Er lächelte erfreut. »Dann komm in mein Büro. Der Jazzdoktor hat Sprechstunde.«
Wenn das Wohnzimmer meiner Mum und ihrer erweiterten Verwandtschaft gehörte, dann war das Schlafzimmer das Territorium meines Vaters und seiner Plattensammlung. In einer alten Familienlegende
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