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Schwarzer Mond über Soho: Roman (German Edition)

Schwarzer Mond über Soho: Roman (German Edition)

Titel: Schwarzer Mond über Soho: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ben Aaronovitch
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Säulen, die vermutlich Stützfunktion hatten, denn zur Optimierung des Blickfelds trugen sie definitiv nicht bei. Als ich im Türrahmen stand und versuchte, ein Gefühl für eventuelle magische Unterströmungen zu bekommen, stellte ich fest, dass meine Kindheit dabei war, meine Ermittlungen zu gefährden.
    1986 kam
Journey to the Urge Within
von Courtney Pine heraus, und plötzlich war Jazz wieder in, und mein Vater stieg zum dritten und letzten Mal in seinem Leben beinahe in die luftigen Höhen von Ruhm und Reichtum auf. Bei seinen Gigs war ich nie dabei, aber in den Schulferien nahm er mich oft in Clubs oder Aufnahmestudios mit. Manche Eindrücke bewahrt man selbst aus der Zeitvor dem Einsetzen der bewussten Erinnerung   – schales Bier, Tabakrauch, der Klang einer Trompete, wenn sich der Trompeter warm spielt. In diesem Keller hätten sich zweihundert Kilowuff
Vestigia
verstecken können, ich wäre nicht fähig gewesen, sie von meinen eigenen Erinnerungen zu trennen.
    Ich hätte Toby mitbringen sollen, der wäre von größerem Nutzen gewesen als ich. In der Hoffnung, dass es etwas bringen würde, näher ranzugehen, trat ich direkt vor die Bühne.
    Mein Dad sagte immer, ein Trompeter richtet seine Waffe auf das Publikum, aber ein Saxofonist liebt es, ein gutes Profil abzugeben, und hat immer eine bevorzugte Seite. Es gehörte zum Credo meines Dad, dass niemand ein Rohrblattinstrument auch nur anfasst, dem es nicht wichtig ist, wie sein Gesicht aussieht, wenn er hineinbläst. Ich stellte mich auf die Bühne und nahm ein paar typische Saxofonistenposen ein. Und da begann ich etwas zu spüren, vorn rechts auf der Bühne, ein kleines Prickeln und die Melodiestimme von
Body and Soul
, wie aus weiter Ferne, schneidend und bittersüß.
    »Erwischt«, sagte ich.
    Da das magische Echo eines ganz bestimmten Jazzstücks derzeit meine einzige Spur war, überlegte ich, dass es wahrscheinlich angebracht wäre, herauszufinden, um welche der etlichen hundert Coverversionen von
Body and Soul
es sich handelte. Was ich brauchte, war ein Jazzexperte, der so besessen von seinem Thema war, dass er darüber seine Gesundheit, seine Ehe und seine eigenen Kinder vernachlässigte.
    Mit anderen Worten, meinen Dad.
     
    So sehr ich den Jaguar liebe, für die tägliche Polizeiarbeit ist er viel zu auffällig. Daher war ich an diesem Tag in einem zerkratzten, aus dem aktiven Polizeidienst entlassenen silbernen Ford Focus unterwegs, von Eingeweihten auch Ford Asbo genannt, weil man eigentlich verhaftet gehört, wenn man in so einem Ding fährt. Trotz all meiner Bemühungen roch er nach uraltem Überwachungsproviant und nassem Hund. Ich hatte ihn in der Romilly Street geparkt, mit meinem magischen Polizeitalisman in der Windschutzscheibe, um Verkehrskontrolleure abzuhalten. Ein Freund von mir hatte den alten Volvo-Motor so aufgemotzt, dass er ganz ordentlich zog, was nützlich sein konnte, wenn man, wie ich jetzt, auf dem Weg nach Kentish Town die Gelenkbusse auf der Tottenham Court Road überholen wollte.
    Jeder Londoner hat sein »Terrain«   – das Sammelsurium der Flecken in der Stadt, wo er sich wohlfühlt. Die Ecke, wo man wohnt oder das Universitätscollege, das man besucht hat. Der Arbeitsplatz oder der Sportverein. Die Gegend im West End, wo man abends in die Kneipe geht. Bei einem Polizisten sein Streifenbezirk. Bei einem gebürtigen Londoner   – und entgegen allen Gerüchten sind wir immer noch in der Mehrheit   – liegt der Kern dieses Terrains dort, wo man aufgewachsen ist. Die Straßen, auf denen du zur Schule gegangen bist, wo du zum ersten Mal geknutscht oder dich besoffen oder dein erstes Hühnchen-Vindaloo wieder von dir gegeben hast, vermitteln ein ganz eigenes Gefühl der Sicherheit.
    Ich bin in Kentish Town aufgewachsen, das in die Kategorie »begrünte Vorstadt« fallen würde, wenn es ein wenig begrünt und vorstädtisch wäre. Und weniger Sozialwohnblockshätte. Einer davon ist Peckwater Estate, der Sitz meiner Ahnen, der gebaut wurde, als die Architekten sich damit abgefunden hatten, dass auch das Proletariat sich über ein eigenes Klo und ein gelegentliches Vollbad freut, aber noch nicht zu der Erkenntnis gelangt waren, dass besagtes Proletariat möglicherweise mehr als ein Kind pro Familie haben könnte. Andererseits, vielleicht dachten sie, mehr als zwei Schlafzimmer würden die Arbeiterklasse nur ermuntern, sich zu vermehren wie die Karnickel.
    Einen Vorteil gab es hier allerdings: den Innenhof, der zum

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