Schwarzer Mond über Soho: Roman (German Edition)
im menschlichen Gebiss übliche Form, aber die Backenzähne waren ungewöhnlich dünn und scharf. »Sieht eher nach einem Fleischfresser als einem Allesfresser aus«, hatte er gemeint. Er war ein netter Kerl und sehr professionell, aber ich hatte das deutliche Gefühl, dass er glaubte, wir wollten ihn verschaukeln.
Diese Geschichte hatte eine bizarre Diskussion über den menschlichen Verdauungsvorgang nach sich gezogen, die erst endete, nachdem ich hingegangen war, ein paar Biologie-Schulbücher besorgt hatte und mit Nightingale den Magen, Dünn- und Dickdarm und ihre jeweilige Funktion durchgesprochen hatte. Auf meine Frage, ob er das nicht in der Schule gehabt hätte, meinte er, möglicherweise schon, aber er hätte da nicht aufgepasst. Als ich ihn fragte, wobei er denn aufgepasst hätte, sagte er, Rugby und Zaubern.
»Zaubern?«, fragte ich. »Sie wollen doch nicht sagen, Sie waren in Hogwarts auf der Schule?«
Was dazu führte, dass ich ihm die Harry-Potter-Bücher erklären musste, woraufhin er zugab, ja, er habe eine Schule für Söhne aus gewissen Familien mit ausgeprägter magischer Tradition besucht, aber sie sei der Schule in denBüchern nicht sehr ähnlich gewesen. Die Idee mit dem Quidditch gefiel ihm zwar, aber sie hatten hauptsächlich Rugby gespielt, und es war streng verboten gewesen, auf dem Spielfeld Magie einzusetzen.
»Aber wir hatten eine Art Squash«, erzählte er, »bei dem wir die Bewegungszauber benutzten. Da konnte es recht lebhaft zugehen.«
Die Schule war im Zweiten Weltkrieg vom Militär requiriert worden, und als sie Anfang der fünfziger Jahre wieder zur zivilen Benutzung freigegeben worden war, hatte es nicht mehr genug geeignete Schüler gegeben, dass es sich gelohnt hätte. »Oder genug Lehrer«, hatte Nightingale gesagt und dann sehr lange geschwiegen. Ich hatte es vermieden, das Thema je wieder anzuschneiden.
Wir hatten viel Zeit damit verbracht, in der Bibliothek nach Verweisen auf die
Vagina dentata
zu suchen. So war ich auf Wolfes
Exotica
gestoßen. Was Polidori für makabre Todesfälle war, war Samuel Erasmus Wolfe für kuriose Tierarten und das, was Dr. Walid als »Kryptozoologie« bezeichnete. Er war ein Zeitgenosse von Huxley und Wilberforce und auf topaktuellem Stand, was die jüngsten Evolutionstheorien seiner Zeit betraf. In seiner Einführung in
Magie als Auslöser bei der pseudo-Lamarck’schen Vererbung
stellt er die These auf, dass in einem Organismus, der Magie ausgesetzt ist, möglicherweise Veränderungen vor sich gehen, die er seinen Nachkommen weitervererben kann. (Unter modernen Biologen ist so etwas als »weiche Vererbung« bekannt, und wer sie heute zu verfechten wagte, würde umgehend zum Gegenstand allgemeiner Heiterkeit.) Es klang plausibel, aber unglücklicherweise wurde Wolfe beim Baden vor Sidmouth voneinem Hai gefressen, ehe er den Teil seines Buches vollenden konnte, in dem er seine These beweist.
Ich fand, dass man mit dieser These zumindest theoretisch die »Evolution« vieler Kreaturen erklären konnte, die in den
Exotica
beschrieben werden. Die
Genii locorum
, die ja definitiv existierten, wurden in Wolfes Theorie mit keinem Wort erwähnt. Aber an ihnen konnte man sehen, dass eine Person, die unter den Einfluss der mächtigen unterschwelligen Magie geriet, von der manche Orte durchdrungen zu sein schienen, vielleicht tatsächlich körperlich von selbiger verändert werden konnte. So geschehen zum Beispiel bei Vater Themse, Mama Themse und selbst Beverley Brook, die ich in Seven Dials geküsst hatte.
An die Nachkommen weitervererben?, dachte ich. Vielleicht war es ganz gut, dass Beverley Brook sich wohlverwahrt außer Reichweite jeglicher Versuchung befand.
»Angenommen, die Zahnforensik bestätigt, dass es dieselbe ›Kreatur‹ war«, sagte ich, »können wir dann davon ausgehen, dass sie nicht natürlich ist? Ich meine, sie muss doch in irgendeiner Weise magisch sein, oder? Hieße das nicht, dass sie überall, wo sie sich aufhält, eine Spur aus
Vestigia
hinterlassen müsste?«
Nightingale schenkte uns Tee nach. »Bisher haben Sie nichts dergleichen gespürt.«
»Nein. Aber falls sie ein Nest hat, ein Schlupfloch, wo sie sich meistens aufhält, müssten die
Vestigia
sich dort akkumulieren, und man müsste es leichter aufstöbern können. Und da beide Angriffe in Soho stattgefunden haben, könnte es doch sein, dass dort auch ihr Versteck ist.«
»Das ist ziemlich spekulativ.«
»Aber ein Anfang.« Ich warf Toby eine Wurst zu, under
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