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Schwarzer Mond über Soho: Roman (German Edition)

Schwarzer Mond über Soho: Roman (German Edition)

Titel: Schwarzer Mond über Soho: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ben Aaronovitch
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allen Zeiten großen missionarischen Eifer hervorgerufen, und immerwieder machten sich vereinzelte tapfere Individuen auf, dem Wetter, den hygienischen Zuständen und dem englischen Sarkasmus zu trotzen, um den armen umnachteten Inselbewohnern die schönen Dinge des Lebens nahezubringen. Zu diesen Pionieren, so erzählte mir Simone, gehörte Madame Valerie, die in der Frith Street eine Patisserie eröffnete und diese, nachdem die Deutschen sie dort ausgebombt hatten, in die Old Compton Street verlegte. Ich war schon unzählige Male daran vorbeipatrouilliert, aber da man dort keinen Alkohol ausschenkte, war ich nie hineingerufen worden.
    Simone packte mich an der Hand und zerrte mich praktisch nach drinnen, wo die Vitrinen in der Nachmittagssonne glänzten. Auf cremefarbenen Spitzendeckchen standen hier Unmengen von Petits Fours mit rosa, gelbem oder rotem Zuckerguss oder Schokoladenüberzug, bunt und wohlgeordnet wie eine Spielzeugarmee.
    Simones Lieblingstisch war der neben der Treppe, direkt hinter der Kuchenvitrine. Von hier aus, erklärte sie, konnte man die Leute beobachten, die kamen und gingen,
und
zugleich ein Auge auf die Kuchen haben   – nur für den Fall, dass plötzlich ein Riesenansturm darauf losging. Da sie zu wissen schien, was sie tat, überließ ich die Bestellung ihr. Man servierte ihr ein umfangreiches Schichtgebilde aus Blätterteig, Cremefüllung und Zuckerguss, und mir wurde etwas vor die Nase gestellt, was im Kern ein Schokoladenkuchen mit Unmengen von Schokosahne und Schokoladendekor war. Ich fragte mich, ob sie mich verführen oder ins diabetische Koma treiben wollte.
    »Sie müssen mir unbedingt erzählen, was Sie herausgefunden haben«, sagte sie. »Ich habe gehört, dass Sie heuteNacht mit Jimmy und Max im Mysterioso waren. Ein schrecklich verrufener Ort, nicht? Sie mussten sich bestimmt sehr beherrschen, nicht an jeder Ecke einen Übeltäter zu verhaften.«
    Ich bestätigte, dass ich den Club besucht hatte und er in der Tat eine Lasterhöhle war, sagte aber nichts von Mickey the Bone, der im Leichensaal des UCH auf Dr.   Walid wartete. Stattdessen murmelte ich etwas von laufenden Ermittlungen und sah ihr beim Essen zu. Sie verschlang den Kuchen wie ein ungeduldiges, aber wohlerzogenes Kind mit hastigen manierlichen Bissen, schaffte es aber trotzdem, sich den Mund mit Creme zu verschmieren. Ich beobachtete, wie ihre Zunge herausschnellte, um sie abzulecken.
    »Wissen Sie, mit wem Sie reden sollten?«, sagte sie, als die Creme vollständig verschwunden war. »Mit der Musikergewerkschaft. Deren Aufgabe ist es doch schließlich, sich um ihre Mitglieder zu kümmern. Wenn jemand wissen sollte, was da los ist, dann sie. Essen Sie das nicht mehr?«
    Ich bot ihr den Rest meines Kuchens an, und sie schielte schuldbewusst nach rechts und links wie ein Schulmädchen, bevor sie den Teller zu sich herüberzog. »Ich kann meinen Appetit so schlecht zügeln. Damit kompensiere ich wohl meine Jugend   – damals fehlte es uns an allem.«
    »Damals?«
    »Als ich noch jung und dumm war.« Sie hatte einen Klecks Schokolade auf der Wange. Ohne nachzudenken wischte ich ihn mit dem Daumen weg. »Danke«, sagte sie. »Man kann eigentlich niemals genug Kuchen haben.«
    Man hat jedenfalls nie genug Zeit. Ich zahlte, und wirgingen gemeinsam die Straße hinunter. Ich fragte sie, womit sie ihren Lebensunterhalt verdiente.
    »Ich bin Journalistin.«
    »Welches Blatt?«, wollte ich wissen.
    »Oh, ich bin freischaffend. Wie anscheinend jeder heutzutage.«
    »Worüber schreiben Sie?«
    »Jazz natürlich. Die Londoner Szene, Musikkritiken, Klatsch. Die meisten meiner Artikel verkaufe ich nach Übersee. Hauptsächlich an die Japaner. Die sind ganz verrückt auf Jazz, die Japaner.« Sie äußerte den Verdacht, dass irgendein Redakteur in Tokio ihre Arbeiten ins Japanische übersetzte und ihr Name eines der Dinge war, die bei der Übersetzung verloren gingen.
    Wir erreichten die Straßenecke.
    »Ich wohne gleich dort drüben in der Berwick Street«, sagte sie.
    »Bei Ihren Schwestern.«
    »Das wissen Sie noch«, rief sie. »Aber natürlich, Sie sind schließlich Polizist. Zweifellos haben Sie das trainiert. Also werden Sie sich bestimmt auch an meine Adresse erinnern, wenn ich sie Ihnen sage.«
    Sie nannte mir ihre Adresse, und ich tat, als prägte ich sie mir ein. Zum zweiten Mal.
    »
Au revoir
«, sagte sie. »Bis zum nächsten Mal.«
    Ich sah ihr nach, wie sie auf ihren hohen Absätzen mit unbeschwertem Hüftschwung

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