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Schwarzer Mond über Soho: Roman (German Edition)

Schwarzer Mond über Soho: Roman (German Edition)

Titel: Schwarzer Mond über Soho: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ben Aaronovitch
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ließ Stephanopoulos die Arbeit machen.
    »Es ist immer erfreulich, wenn Vorgesetzte auf vertikaler Ebene zukunftsorientiert denken.«
    Zur Antwort bekam ich fast so was wie ein Lächeln.
    »Fertig?«
    Ich zog die Kapuze über den Kopf und schnürte sie zu. Stephanopoulos gab mir einen Mundschutz, und ich folgte ihr in den Club. Auf dem weißen Kachelboden der Eingangshalle waren trotz aller Umsicht verschmierte Blutspuren zu sehen, die hinter eine Doppeltür aus dünnem Holzgeflecht führten. »Die Leiche ist unten auf dem Herrenklo«, sagte sie.
    Die Treppe zum Tatort war so schmal, dass wir erst eine Horde Spurentechniker vorbeilassen mussten, ehe wir uns an den Abstieg machen konnten. So etwas wie ein ständiges Spurensicherungsteam gibt es übrigens nicht. Da die Spurensicherung so teuer ist, bestellt man sie beim Innenministerium immer nur häppchenweise wie beim chinesischen Lieferservice. Aus der Prozession von Plastikanzügen zu schließen, die an uns vorüberzog, hatte Stephanopoulos sich das Super-Deluxe-Menü für sechs Personen mit einer Extraportion gebratenem Reis gegönnt. Und ich war dann wohl der Glückskeks.
    Wie die meisten Toiletten im West End war auch die des Groucho nachträglich in den Keller eingebaut worden und entsprechend eng und niedrig. Die Wände waren mit Paneelen aus gebürstetem Stahl und kirschrotem Plexiglas verkleidet   – es sah aus wie ein besonders gruseliger Level von
System Shock 2
. Die blutigen Fußspuren, die aus dem Raum herausführten, trugen auch nicht dazu bei, den Eindruck zu mildern. »Die Putzfrau hat ihn gefunden«, erklärte Stephanopoulos.
    Links gab es mehrere rechteckige Porzellanwaschbecken, geradeaus eine Reihe Standard-Pissoirs und ganzrechts in der Ecke, auf einem Podest, die einzige Toilettenkabine. Die Tür wurde mit einigen Streifen breitem Klebeband offen gehalten. Was dahinter war, musste Stephanopoulos mir nicht erklären.
    Es ist seltsam, wie das menschliche Gehirn den Anblick eines Verbrechens verarbeitet. In den ersten paar Sekunden wird das Schreckliche schlicht übergangen, und das Auge klammert sich ans Alltägliche. Er war weiß, mittleren Alters und saß auf dem Klo. Seine Schultern waren nach vorn gesackt und das Kinn war auf die Brust gesunken, deshalb war sein Gesicht kaum zu sehen, aber er hatte braunes Haar, das am Hinterkopf schon ziemlich schütter war. Bekleidet war er mit einer teuren, aber abgetragenen Tweedjacke, die er allerdings halb ausgezogen hatte, was den Blick auf das recht hübsche blau-weiße Nadelstreifenhemd freigab. Hose und Unterhose hingen ihm um die Fußknöchel, seine Waden waren bleich und behaart. Die Hände hingen schlaff zwischen seinen Beinen, wahrscheinlich hatte er sie krampfhaft auf die Wunde gepresst, bis er das Bewusstsein verlor. Seine Handflächen waren blutverklebt, die Jackenaufschläge und Hemdsärmel in Blut getränkt. Ich zwang mich, die Wunde anzusehen.
    »Oh Scheiße.«
    Die Toilettenschüssel war voller Blut, und das arme Schwein von der Spurensicherung, das später darin würde herumfischen müssen, war wirklich nicht zu beneiden. Jemand hatte dem Mann den Penis abgehackt und, wenn ich mich nicht irrte, den armen Kerl dann sich selbst überlassen, woraufhin er das umklammerte, was noch übrig war, und dabei langsam, aber sicher ausblutete.
    So scheußlich es war, ich bezweifelte, dass Stephanopoulosmich herbestellt hatte, um mir einen Kurzlehrgang in Tatorttheorie zu geben. An der Sache musste noch mehr sein. Ich zwang mich, die Wunde noch einmal genauer zu mustern, und diesmal fiel es mir auf. Ich bin kein Experte, aber der gezackte Rand deutete darauf hin, dass da kein Messer im Spiel gewesen war.
    Ich stand auf. Stephanopoulos schenkte mir einen beifälligen Blick. Vermutlich, weil ich mir nicht sofort in den Schritt gegriffen hatte und wimmernd davongelaufen war.
    »Kommt Ihnen das vielleicht bekannt vor?«, fragte sie.

 
    Der Groucho Club, dessen Name sich auf das berühmte Zitat des amerikanischen Komikers bezog, war etwa zur Zeit meiner Geburt gegründet worden und auf die Sorte Künstler und Medienleute ausgerichtet, die sich diese Art ironischen Postmodernismus leisten konnten. Normalerweise nahm ihn das Auge des Gesetzes nicht weiter wahr, denn egal wie schick die Gäste es fanden, nonkonformistisch zu sein, sie lebten das in der Regel nicht samstagabends auf der Straße aus   – außer natürlich, es bestand die Chance, dass es am nächsten Morgen in die Zeitung kam. Hier gingen

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