Schwarzer Mond über Soho: Roman (German Edition)
die Kinder etwa neun oder zehn. Danach kam nichts mehr. Ich überschlug im Geiste: die letzten Bilder mussten in der ersten Hälfte der Achtziger entstanden sein. Vor über dreißig Jahren.
»Die Angehörigen in Australien leben noch?«, fragte ich. »Sie sind nicht tragischerweise bei einem Autounfall ums Leben gekommen oder so?«
»Muss ich noch rausfinden«, sagte Trollope. »Warum?«
»Weil dreißig Jahre ohne irgendein neues Foto eine lange Zeit sind.«
Ganz hinten standen noch zwei Fotos, halb verdeckt von denen von Frau und Kindern. Noch mehr Männer mit Koteletten, peinlich breiten Jackenaufschlägen und noch breiteren Krawatten, aufgenommen in einer Bar, die mir bekannt vorkam und in der ich plötzlich das French House in Soho erkannte. Außerdem erkannte ich, dass mir aus dem Foto der Nachtclubbesitzer Alexander Smith in jungen Jahren entgegenblickte, der in seinem Knautschsamt-Smoking mit gekräuseltem Hemd schon damals wie ein Dandy ausgesehen hatte.
»Über Johnsons berufliche Laufbahn haben Sie nicht zufällig schon mehr herausgefunden?«
Wieder blätterte Trollope in seinem Notizbuch, aber mir war schon klar, wo sich der größte Teil der Dienstzeit von DCSI Johnson abgespielt haben musste: in und um Soho.
»Er war in der Kriminalabteilung in West End Central. Vorher war er bei etwas, das OPS hieß.« Ich fragte nach den Daten. Er nannte 1967 bis 1975.
Die OPS war die Spezialeinheit Obszöne Publikationen, die allerkorrupteste Spezialeinheit der korruptesten Abteilung der Metropolitan Police. Und Johnson hatte ihr während des korruptesten Jahrzehnts angehört, jedenfalls seit die Londoner Diebesfänger nicht mehr für jeden abgelieferten Verbrecher einzeln bezahlt wurden.
Kein Wunder, dass auf dem Foto Alexander Smith zu sehen war. Die OPS hatte illegale Schutzgelder von Sexshops und Stripclubs kassiert. Solange man ihr einen bestimmten Betrag pro Tag zahlte, konnte man sicher sein, dass keine Razzia stattfand. Oder falls doch, dass man so früh gewarnt wurde, dass man reichlich Zeit hatte, um die deftigsten Sachen in aller Ruhe verschwinden zu lassen. Als zusätzlichen Bonus konnte man den Jungs in Blau »einen Drink spendieren«, und schon organisierten sie eine Razzia bei deinen Konkurrenten und verkauften dir das konfiszierte Zeug durch die Hintertür der Asservatenkammer im Revier von Holborn. Das erklärte, wie Johnson es sich hatte leisten können, so früh in Rente zu gehen – und vielleicht auch, warum er das hatte tun müssen.
Automatisch wanderte mein Blick zu den drei Fernbedienungen auf dem Wohnzimmertisch.
Ich hockte mich neben den Fernseher. Der graue Fernsehtisch war ein typisches Billig-Exemplar aus laminierter Spanplatte und wegen des Kabelknäuels, das hinten herauskam, nur sehr schwer effektiv abzustauben.
»Könnten Sie mir mal helfen?« Ich erklärte Trollope, was ich vorhatte. Vorsichtig, um nicht eventuelle Spuren zu zerstören, hoben wir den DV D-Player an je einer Seite an. Darunter kam ein scharf umrissenes staubfreies hellgraues Rechteck zum Vorschein, das anzeigte, dass hier jahrelang etwas gestanden hatte – etwas, das kleiner gewesen war als der DV D-Player . Ich nickte, und wir stellten das Gerät sorgfältig wieder ab.
»Was ist?«, fragte Trollope.
»Er hatte auch einen Videorecorder.« Ich zeigte auf dieFernbedienungen. Eine für den Fernseher, eine für den DV D-Player und …
»Meine Fresse«, sagte Trollope.
»Sie sollten Ihrem Tatortteam sagen, dass jemand alle VH S-Kassetten hier im Haus hat verschwinden lassen.«
»Warum hatte er noch einen Videoapparat?«, fragte Trollope. »Kennen Sie jemanden, der noch Video hat?«
»Es muss um etwas gehen, das zu digitalisieren zu riskant gewesen wäre.«
»Heutzutage? Das müsste was echt Ekliges oder Illegales sein. Kinderpornos oder Snuff oder, ich weiß nicht, wie ein Kätzchen erwürgt wird oder so.«
»Man sollte die Ehefrau befragen«, sagte ich. »Vielleicht weiß sie was.«
»Vielleicht ist sie deswegen weg«, überlegte Trollope. »Glauben Sie, da ist ein Trip nach Australien drin?«
»Nicht für uns. Die lassen doch keine DCs in der Weltgeschichte herumgondeln. Die Freiflüge kriegen immer ›erfahrene Kräfte‹.« Wir schwiegen einen Moment lang in düsterem Einvernehmen. »Wenn Sie ein paar Sachen hätten, die Sie um jeden Preis geheim halten wollten«, fragte ich dann, »wo würden Sie sie aufbewahren?«
»Gartenhäuschen«, sagte Trollope.
»Tatsächlich?«
»Da hob mein
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