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Schwarzer Neckar

Schwarzer Neckar

Titel: Schwarzer Neckar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thilo Scheurer
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kämpften. Es verging kaum ein Monat, in dem sie nicht irgendeine aussichtslose Diät ausprobierte. Derzeit absolvierte die beleibte Frau mit dem maskulinen Kurzhaarschnitt eine Kohlsuppendiät aus der »Brigitte« des vergangenen Frühjahrs. Alle Welt wusste von ihrer Hungerkur. Dafür sorgte sie schon selbst. Jeden, der das Sekretariat betrat, informierte sie über die Vorteile der Kohlsuppendiät gegenüber anderen Diäten. Freilich wussten alle, dass sich spätestens nach den Weihnachtsfeiertagen die abgehungerten Kilos zuzüglich zwei oder drei Extrakilos wieder auf ihren Hüften breitmachen würden. Dennoch stellte sie sich diesem aussichtslosen Kampf, der zuweilen kuriose Auswüchse annahm. Einmal hatte sie damit geprahlt, dass sie achtzehn Kilogramm abgenommen habe, nur um sich ihren jetzigen Mann »zu angeln«.
    Entgegen der landläufigen Meinung, dass hungernde Menschen mürrisch und in Unterhaltungen schnell reizbar reagierten, musste Schober sich ihren Frust regelrecht von der Seele reden. Dabei machte sie keinen Unterschied, ob es sich um persönliche oder geschäftliche Dinge handelte. Auch Informationen, die nicht für jeden bestimmt waren, flocht sie in ihren Redeschwall ein, um sie bei möglichst vielen Menschen loszuwerden. Und sie interessierte sich selten dafür, ob ihr jeweiliger Gesprächspartner das alles hören wollte oder nicht. Oft konnte man sich nur mit einem Vorwand vor ihr in Sicherheit bringen.
    Als Treidler mit seiner neuen Kollegin gegen Mittag aus der Pathologie zurückkehrte, neigte sich Anita Schobers Dienst dem Ende.
    Schon beim Anblick ihres Gesichtsausdrucks bedauerte Treidler, dass dieser Montag nicht in einer geraden Woche lag und Ursula Lohrmann im Sessel hinter dem Computer saß. Schober platzte fast vor Ungeduld.
    »Das ist gut, dass Sie kommen, Herr Hauptkommissar«, beeilte sie sich zu sagen und zwängte ihren Körper aus dem Schreibtischstuhl. Dabei stieß sie mit der Hüfte an und brachte ein gutes Dutzend knallroter Weihnachtssterne zum Erzittern, die in vier Blumentöpfen auf ihrer Tischplatte blühten. Während sie auf Treidler zuging, warf sie Melchior einen neugierigen Blick zu. »Ich dachte schon, dass ich es der Frau Lohrmann erklären muss. Sie wissen ja, bei ihr kann immer etwas verloren gehen. Weil – sie ist ja so schrecklich dünn. Aber es ist so wichtig.«
    »Was ist denn so wichtig, Frau Schober?«, entgegnete Treidler, obwohl er genau wusste, dass es sich um nichts Bedeutsames handeln konnte. Niemand würde der Schober Entscheidendes anvertrauen. Es sei denn, er wollte, dass es sich schnellstmöglich in der gesamten Polizeidirektion verbreitete.
    »Der Herr Amstetter, Sie wissen schon, der Herr Amstetter von der Kriminaltechnik«, fuhr Schober in einem verschwörerischen Tonfall fort und blickte sich um, als wolle sie sichergehen, dass sie nicht belauscht wurden.
    »Ja und?«
    »Ja, der Herr Amstetter …«
    »Das sagten Sie schon. Und weiter …?«
    »Jetzt lassen Sie mich ausreden, Herr Hauptkommissar. Sie bringen mich ganz durcheinander …«
    Treidler hob ergeben die Augenbrauen.
    »… hat angerufen«, fügte sie mit gedämpfter Stimme hinzu und bedachte Melchior mit einem argwöhnischen Seitenblick.
    »Gut, Frau Schober, Amstetter hat angerufen. Dann haben wir das ja geklärt. Was hat er denn gesagt?«
    »Der Herr Hauptkommissar Treidler soll bei ihm vorbeischauen. Es sei wichtig.« Diesmal kam die Antwort wie aus der Pistole geschossen. Offensichtlich erzählte sie diesen Teil nicht zum ersten Mal.
    »Wann?«
    Sie schob ihren Kopf nach vorne, sodass sich das Doppelkinn über den Hals verteilte. Auf ihre Stirn traten zwei tiefe, senkrechte Falten, und Treidler konnte deutlich erkennen, dass es dahinter zu arbeiten begann. Es dauerte zwei oder drei Atemzüge, bis sie schließlich mit einem bedächtigen Kopfschütteln eingestand: »Das – das hat er nicht gesagt.«
    Treidler schaute auf seine Armbanduhr. Kurz vor halb eins. Amstetter würde in der Mittagspause sein. Mit einem Mal machte sich auch sein Magen bemerkbar. Ein unbändiges Hungergefühl überkam ihn. Kein Wunder, seit der Pizza am gestrigen Abend hatte er nichts mehr zu sich genommen. Jedenfalls keine feste Nahrung. »Haben Sie Hunger?«, wandte er sich an Melchior.
    »Ja, ein wenig schon«, entgegnete sie.
    »Gut, dann gehen wir jetzt etwas essen. Wie ich Amstetter kenne, kommt er vor eins, halb zwei nicht zurück.«
    Einige Zeit später saßen sich die beiden Kommissare am letzten

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