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Schwarzer Neckar

Schwarzer Neckar

Titel: Schwarzer Neckar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thilo Scheurer
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Nummer?«
    »Zumindest einen relativ schnellen Zugriff auf seine Eintragung im Melderegister von Duschanbe. Die Behörden in den ehemaligen Sowjetrepubliken brauchen lange, sehr lange, um Anfragen aus dem Ausland zu bearbeiten. Mit seiner Propiska könnten wir das beschleunigen.«
    »Und, auf was warten wir?«
    Melchior ließ das kleine Büchlein aufgeschlagen und verstaute es wieder in der Tüte. Nachdem sie die Gummihandschuhe ausgezogen hatte, nickte sie Treidler kurz zu, und die beiden Kommissare machten sich auf den Weg zurück zu ihrem Büro.
    »Ich brauche den Pass noch einmal. Die Fingerspuren auf den Innenseiten sind nicht gesichert«, rief ihnen Amstetter nach.
    »Frau Schober«, Treidler redete schon, bevor er die offen stehende Tür zum Sekretariat erreicht hatte, »ich möchte, dass Sie ein Amtshilfeersuchen für Tadschikistan fertig machen.« Erst jetzt bemerkte er, dass hinter dem Schreibtisch nicht mehr Anita Schober saß, sondern Ursula Lohrmann. Sie trug ein dunkelblaues, enges Oberteil mit langen Ärmeln, was ihre schlaksige Figur noch mehr hervorhob.
    »Ich kann kein Russisch«, erwiderte sie mit einem vorsichtigen Kopfschütteln.
    »Tadschikisch«, verbesserte Melchior und warf ihr ein Lächeln zu. »Ich denke, Englisch reicht für ein Fax oder eine E-Mail an die tadschikische Botschaft.«
    »Und was genau soll ich dort anfragen?« Lohrmann strich ihren geflochtenen Zopf nach vorne.
    »Auskunftsersuchen über Johann Nowak, gemeldet in Duschanbe.« Melchior blickte in das aufgeschlagene Büchlein in der Plastiktüte und las vor: »Propiska Nummer eins-fünf-vier-sieben-vier-vier. Und lassen Sie den Pass in der Tüte, es sind noch nicht alle Fingerspuren gesichert.« Sie reichte Lohrmann den Pass und wandte sich an Treidler. »Ich hoffe, das genügt, damit die Tadschiken uns eine Fotokopie seiner Registereintragung überlassen.«
    Ursula Lohrmann warf ihren Zopf wieder auf den Rücken und drehte den Bürostuhl zum Computerbildschirm. »Bin schon dabei, Chef.« Augenblicke später flogen ihre schlanken Finger gekonnt über die Tastatur. Nur einmal setzte sie kurz ab, um die Nummer der Propiska abzulesen.
    Den Rest des Tages verbrachte Treidler damit, etwas über die Adresse in der Stuttgarter Mozartstraße in Erfahrung zu bringen. Unter normalen Umständen hätte er für die wenigen Telefonate kaum länger als eine halbe Stunde benötigt. Heute jedoch verging mehr als die dreifache Zeit. Und das lag keinesfalls an seiner Unfähigkeit, kurzfristig die richtigen Gesprächspartner zu finden.
    Melchior kam auf die Idee, den Rest des Nachmittags zu nutzen, um den Schreibtisch auf der gegenüberliegenden Büroseite in Besitz zu nehmen. Dutzende Kartons und anderes Gerümpel, das seit vielen Wochen einen Platz dort fand, musste Treidler beiseiteräumen.
    Weitaus unangenehmer empfand er allerdings, dass Melchior ihn beständig mit Fragen nervte, auf die er selbst keine Antwort wusste. Es begann mit den Schlüsseln zum Schreibtisch. Die Schubladen konnten geöffnet, aber nicht abgeschlossen werden. Woher, verdammt, sollte er wissen, wo sich diese winzigen Schlüssel befanden? Seit Monaten stand der Schreibtisch wie verwaist in seinem Büro. Niemand interessierte sich dafür. Bis die Männer der Haustechnik vor einer Woche den Computer angeschlossen hatten. Doch sie hätten zuvor besser Melchior gefragt. Bildschirm, Tastatur, Drucker: Alles platzierte sie um. Bald ging die Stellfläche aus, und die Längen der verlegten Kabel reichten nicht annähernd.
    Nein, er wusste nicht, wo im Raum sich Steckplätze für das Netzwerk befanden. Auch nicht, wo die Verlängerungskabel und Mehrfachsteckdosen lagerten. Womöglich wollte sie als Nächstes wissen, wo die Toiletten lagen.
    Wenig später begann das Drama mit dem Anmeldenamen und Passwort für das System. Er selbst konnte sich nur mit Mühe seine Zugangsdaten merken. Was interessierte ihn schon dieser verfluchte Computer? Er benutzte ihn eh kaum. Wozu gab es schließlich das Sekretariat? Die beiden Damen meisterten solche Aufgaben ohnehin schneller als er. Schon bald ging Treidler die andauernde Fragerei gehörig auf die Nerven, und er wünschte sich die ruhigen Tage der vergangenen Monate zurück, als das ganze Büro ihm und dem Gerümpel gehörte.
    Neben dem Kopfschmerz und der bleiernen Müdigkeit, die ihn plötzlich übermannte, trugen die Ergebnisse der Telefonaktion kaum zur Verbesserung seiner Laune bei. Im Grunde war er danach genau so schlau wie zuvor.

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