Schwarzer Neckar
Souveränität und Ruhe aus, was er als äußerst angenehm empfand. Und vielleicht war es gerade diese Art gewesen, die er an ihr mochte und nach der er bisher gesucht hatte: einen ruhenden Pol in seinem bisher so unorganisierten Leben.
Treidler dachte an den Augenblick, als er ihr den Rotwein zum Essen einschenken wollte und sie ablehnte. Er fand nicht sofort eine Erklärung für ihr Verhalten. Dennoch spürte er, dass etwas in der Luft lag. Etwas Neues, von dem er sehr bald mehr erfahren sollte. An seine Vermutung schloss sich zuerst eine belanglose Unterhaltung über italienisches Essen an. Bis, ja bis er nach dem Verlauf ihres Tages fragte. Und statt auf seine triviale Frage zu antworten, lächelte sie noch eine Spur geheimnisvoller.
Als er schließlich die Serviette benutzen wollte, fiel ein dünnes Stück Papier mit schwarzen und grauen Klecksen heraus, die scheinbar willkürlich darauf verteilt waren. Es dauerte ein paar Sekunden, bis er realisierte, was er vor sich hatte: die Ultraschallaufnahme eines ungeborenen Kindes – seines Kindes. Im nächsten Augenblick stockte ihm der Atem. Sein Herz schlug schneller, immer schneller und plötzlich begann sich alles zu drehen. Er blickte zu Lisa, die ihn erwartungsvoll anstrahlte, und er lächelte zurück. Bevor er etwas sagen konnte, offenbarte sie ihm, dass sie bald zu dritt sein würden. Daran schloss sich ein wahrer Redeschwall an. Sie war in der neunten Woche, das Kind sollte Anfang Juli nächsten Jahres zur Welt kommen. Und es würde deswegen Juli werden, weil es eigentlich zehn Monate dauerte und nicht neun Monate, wie man sich landläufig erzählte. Auch über die Einrichtung des Kinderzimmers hatte sie sich Gedanken gemacht und die Termine für die Schwangerschaftsgymnastik gebucht. Und natürlich musste er daran teilnehmen, weil heutzutage alle Männer teilnahmen. Er fand nicht ein einziges Mal die Möglichkeit, mehr als ein Kopfnicken einzuwerfen. Er genoss diesen Augenblick, und am meisten freute er sich über den Enthusiasmus, den sie bei ihren wirr vorgetragenen Erklärungen an den Tag legte. Sie strahlte wie ein kleines Kind vorm Gabentisch.
»He – Wolfes …«, mischte sich eine vertraute Stimme in seine Erinnerungen.
Treidler schaute auf.
Amstetter stand mit hinter dem Rücken verschränkten Armen vor seinem Schreibtisch und lächelte. »… schläfst du jetzt schon im Sitzen?«
»Was ist, Ernie, hast du dich verlaufen?«
Der Kriminaltechniker überging die Frage und verkündete: »Ich hab’s endlich geschafft.«
»Du sprichst wie immer in Rätseln. Was hast du endlich geschafft?«
»Die Protokolle.« Er zog seine Hände hervor und präsentierte eine aufgerollte durchsichtige Hülle mit weißen Blättern.
Sofort wusste Treidler, von welchen Protokollen Amstetter sprach. Immer noch fehlten ihm zwei Aussagen zu einem kompletten Satz Untersuchungsberichte im Fall Lisa Treidler. Die Protokolle der beiden Beamten, die als Erste am Tatort eingetroffen waren, gab es in seiner Mappe nicht.
»Vor ein paar Wochen hast du mir erst erklärt, dass man an die nicht so einfach rankommt – separater Speicherplatz oder so etwas Ähnliches.« In der Tat standen Aussagen von Mitarbeitern derselben Dienststelle unter besonderem Datenschutz.
»Ja – das war vor ein paar Wochen«, gab Amstetter nicht ohne Stolz zurück.
»Gilt das jetzt nicht mehr, das mit dem separaten Speicherplatz?«
»Doch, gewiss, aber siehst du meine Hände?« Er zwinkerte. »Das sind magische Hände …«
Treidler konnte ein Lachen nur schwer unterdrücken, als die hagere Gestalt vor ihm merkwürdig anmutende Fingerübungen vollführte, die an einen Klaviervirtuosen vor seinem Auftritt erinnerten.
»Soll ich dir erzählen, wie ich das hinbekommen habe?« Amstetter reichte Treidler die Mappe über den Schreibtisch.
»Lass mich mit den Details in Ruhe. Ich verstehe eh nicht so viel davon wie du.« Er setzte kurz ab und fragte dann: »Hast du sie gelesen?«
Sofort wurde Amstetter wieder ernst. »Du weißt doch, ich mach so was nicht.«
Treidler nickte. »He – Ernie.«
»Was, Wolfes?«
»Warum tust du das für mich? Das kann dich deine Stelle hier kosten.«
»Ich weiß nicht. Vielleicht, weil du der Einzige bist, der über meine Witze lacht.«
»Nur manchmal«, entgegnete Treidler. »Meist sind sie so grottenschlecht, dass man sie nur mit ein paar Bier im Kopf lustig findet.«
Amstetter lachte auf. »Außerdem bin ich viel zu gut. Die werden nie draufkommen, dass ich auf
Weitere Kostenlose Bücher