Schwarzer Neckar
anderen Ende der Diele wies eine ähnliche Unordnung auf wie das Arbeitszimmer. Im fleckigen Fenster flimmerte stumm ein billiger Weihnachtsstern. Dreckiges Geschirr stapelte sich auf dem Spültisch, die Essensreste schimmelten vor sich hin. Offensichtlich sorgte seit Tagen niemand für Ordnung. Die beiden mussten sich überwinden, etwas anzufassen. Allerdings versprach eine genauere Untersuchung des Raumes angesichts der Päckchen auf dem Tisch interessant zu werden.
»Kokain – es sind zweiundzwanzig«, erklärte Treidler.
»Und hier sind nochmals acht.« Melchior deutete auf eine dunkle Lederreisetasche auf einem der Stühle. »Ich glaube, wir haben unser Riesenbaby dabei gestört, sich mit dem Zeugs aus dem Staub zu machen.«
Treidler nickte und versuchte, das Gewicht ihres Fundes zu überschlagen. Er vermutete, dass auch Rauschgifthändler ihre Verpackungen exakt abwogen. »Ich schätze, das sind jeweils zweihundert Gramm.«
»Macht insgesamt sechs Kilo«, ergänzte sie mit einem anerkennenden Kopfnicken.
»Falls es sich um reines Kokain handelt, liegt der Marktwert dieser dreißig Päckchen bei mehr als einer Million Euro.«
Melchior pfiff durch die Zähne. »Kein Wunder, dass sich der Russe dieses Vermögen nicht abnehmen lassen wollte.«
Draußen ertönten die ersten Sirenen der nahenden Polizeikräfte. Rasch erreichten die Fahrzeuge die Mozartstraße und vollführten vor dem Haus ein quälendes Konzert. Es dauerte eine ganze Weile, bis das letzte Martinshorn verstummte. Ihre Warnlichter drehten sich weiter und schickten blassblaue Blitze über die Fassaden bis hoch in die Wohnung. Autotüren schlugen zu, und Befehle hallten durch die Häuserschlucht. Von überall drangen Stimmen.
Der gewaltige Aufmarsch der Polizei mit einem halben Dutzend Einsatzwagen weckte die Neugier der Anwohner. Innerhalb kürzester Zeit umlagerte eine Menschentraube den Eingang des Gebäudes mit der Nummer 18. Die Menge der Schaulustigen wuchs schnell an und verstopfte bald die gesamte Straße. Kein Fahrzeug konnte passieren. Nicht mehr lange, und der unabwendbare Stau würde für ein Verkehrschaos in der näheren Umgebung sorgen.
Wenig später wimmelte es in der kleinen Wohnung von Polizeibeamten. Bestimmt zwanzig Uniformierte besetzten Hauseingang und Wohnungstür oder durchsuchten die anderen Stockwerke. Es sah aus, als ob das Revier im Stuttgarter Süden eine Außenstelle in der Mozartstraße eröffnet hätte. Hinzu kamen zahlreiche Kriminaltechniker in den obligatorischen Overalls und eine Handvoll zivile Beamte der Mordkommission Stuttgart Süd.
Ein recht beleibter Mann, zweifellos in den letzten Jahren seiner Dienstzeit, schälte sich aus dem Gewirr von Personen und strebte mit energischen Schritten auf Treidler und Melchior in der Küche zu. Das viel zu kleine Jackett seines graubraunen Anzugs stand offen und entblößte bei jedem Schritt den massigen Bauch. Vermutlich dauerte es nicht mehr allzu lange, bis die enorme Wölbung die Knopfleiste des hellblauen Jerseyhemdes darunter sprengte. Trotz seiner Leibesfülle und den kurzen Beinen ging er auffallend leichtfüßig. Ihm folgte ein jüngerer Mann mit athletischer Statur, der sich ungelenk, fast hölzern bewegte. Womöglich lag es jedoch nur an seinem breitbeinigen Gang. Er trug eine ausgewaschene, enge Jeanshose und eine noch engere Lederjacke. Darunter, etwa auf Höhe der Achseln, tat sich eine verräterische Beule hervor, die nur von seiner Dienstwaffe stammen konnte. Der grimmige Gesichtsausdruck, mit dem er ununterbrochen versuchte, Eindruck zu schinden, wirkte weniger Respekt einflößend, sondern eher unbeholfen.
»Sind Sie die beiden Kommissare aus Rottweil, die diese Riesensauerei hier angerichtet haben?«, fragte der ältere und nahm Treidler und Melchior fest in den Blick.
Treidler konnte nicht einschätzen, ob der Mann seine Frage scherzhaft meinte oder nicht. »Und Sie müssen Hauptkommissar Berger sein, mit dem ich gestern telefoniert habe«, sagte er.
Für einen Augenblick schaute der Alte verdutzt drein. »Haben Sie in meiner Frage etwa Ironie herausgehört?«, polterte er dann los. Dabei schnaufte er entrüstet, während sein Gesicht allmählich eine rötliche Färbung annahm. Seine buschigen Brauen bogen sich über den grauen, strengen Augen. »Sie kommen nach Stuttgart, und kurze Zeit später haben wir zwei Tote herumliegen. Das kann beim besten Willen nicht sein!«
Sein junger Begleiter nickte und versuchte, ein strenges Gesicht zu
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