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Schwarzer Neckar

Schwarzer Neckar

Titel: Schwarzer Neckar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thilo Scheurer
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Schläge kraftloser und endeten bald ganz. Erschöpft ließ sie ihren Kopf auf seine Brust fallen und hielt sich an ihm fest.
    Treidler war so überrascht von ihrer plötzlichen Nähe, dass er nicht wusste, wie er reagieren sollte, und ließ es einfach geschehen. Er spürte das Zittern des schlanken Körpers und legte zuerst zögernd, dann entschlossener seine Arme um sie. Wortlos verharrten die beiden, bis Melchior sich von ihm löste. Auch er lockerte seine Umarmung, hielt sie jedoch weiter an den Schultern fest und beäugte sie kritisch.
    Mit ihrer kreidebleichen Haut sah Melchior aus, als würde sie kurz vor einer Ohnmacht stehen. Er schüttelte sie leicht. »Geht’s wieder?«
    Melchior nickte zögernd. Allmählich nahm ihr Gesicht wieder den energischen Ausdruck an, der ihm am gestrigen Morgen schon aufgefallen war. Ihre Tatkraft schien schneller zurückzukehren, als er erwartet hatte.
    »Gut, Frau Kollegin.« Treidler lächelte schwach. »Ich hoffe, Sie haben genug Spannung abgebaut, oder wollen Sie erneut auf mich einprügeln?«
    Statt einer Antwort nahm Melchior ihr Mobiltelefon zur Hand und wählte den Notruf. Sie gab Namen und Dienstgrad durch und meldete mit zwei, drei kurzen Sätzen den Vorfall. Sie sicherte dem Beamten in der Einsatzzentrale zu, nichts in der Wohnung anzufassen, bis die Stuttgarter Kollegen vor Ort wären, und legte dann auf.
    Melchior verstaute das Teppichmesser in einem durchsichtigen Tütchen, während Treidler den Russen in Augenschein nahm. Der Mann lag mit angewinkelten Beinen halb auf der Seite. Die Schusswunde an seiner Schulter zeigte zur Decke. Er hatte Blut verloren und atmete flach, aber regelmäßig. Vom Gesicht selbst konnte Treidler nur die rechte Hälfte erkennen. An dem Hals des Riesen prangte eine Tätowierung, die offenbar ein Spinnennetz darstellen sollte. Vory – russische Mafia, kamen ihm sofort Melchiors Worte in den Sinn. Wahrscheinlich würden sich auf der Haut des Mannes noch Dutzende weiterer Bildchen dieser Art finden.
    Im Gegensatz zum bedrohlichen Auftreten von vorhin, wirkte der Riese in dieser Position fast verletzlich wie ein kleines Kind. Treidler blieb vorsichtig. Der Mann konnte jeden Augenblick sein Bewusstsein wiedererlangen. Sicherheitshalber drehte er den massigen Körper auf den Bauch und fesselte die Hände mit Handschellen. Erst dann durchsuchte er die Kleidung des Riesen. Nichts. Der Mann trug keinerlei Papiere bei sich. Nur ein billiges Plastikfeuerzeug und zwei Päckchen russischer Jin-Ling-Zigaretten förderte Treidler aus einer der Jackentaschen zutage.
    Enttäuscht wandte er sich dem Toten an der Wohnungstür zu. Der Mann bot jetzt einen noch grässlicheren Anblick als vorhin. Von Nahem betrachtet veranschlagte Treidler sein Alter auf über sechzig Jahre, sofern das scheußlich zugerichtete Antlitz überhaupt eine Schätzung zuließ. Weit aufgerissene, leere Augen starrten ihn aus dem vollkommen weißen Gesicht an. Nur an seinem Schädel klebte kein Blut. Die Wunde am Hals war nicht sehr tief. Gleichwohl hatte der Schnitt ausgereicht, um die Halsschlagader zu durchtrennen, sodass der Mann verblutete. Keine Risse und keine Ausfransungen an der Haut. Nur ein einziger glatter Schnitt. Der Mörder hatte nicht zum ersten Mal auf solch entsetzliche Weise getötet.
    »Was glauben Sie, Treidler, ist das unser Aleksander?«, fragte Melchior.
    Er zuckte mit den Achseln.
    »Schauen Sie sich seine Schuhe an. Der wohnt hier.«
    Er nickte. Der Tote trug lediglich Hausschuhe sowie eine dünne Strickjacke. Bei solch niedrigen Außentemperaturen ging niemand ohne vernünftige Kleidung außer Haus. »Kann schon sein, dass das unser Mann ist«, gab er nüchtern zurück. Sofern Melchior mit ihrer Vermutung richtiglag, gab es nun eine Spur weniger. Und viel mehr Spuren offenbarte dieser Fall bisher nicht.
    Die Diele und die beiden kleineren Zimmer, die rechts und links davon abgingen, boten keine weiteren Anhaltspunkte, die die Identität des Toten klären könnten. Es handelte sich um das Schlafzimmer, in dem noch der muffige Geruch der vergangenen Nacht hing, und eine Art Arbeitszimmer, das als Abstellkammer genutzt wurde. In Dutzenden von Schachteln und Kisten lagerte allerhand Gerümpel. Treidler entdeckte Gemälde in wulstigen Bilderrahmen, Heiligenstatuen aus Holz, abgetragene Kleidungsstücke und einiges mehr, das er auch nach einem weiteren Blick nicht einordnen konnte. Zu zweit bräuchten sie vermutlich Tage, um den Inhalt zu sichten.
    Die Küche am

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