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Schwarzer Neckar

Schwarzer Neckar

Titel: Schwarzer Neckar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thilo Scheurer
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mitgebracht hat. Viel stärker als das ist nur noch der Hass auf deine Schwester, die dir die Mutter genommen hat. Der Gedanke, wie es wohl wieder ohne den Quälgeist wäre, ist zuerst nur eine Laune. Eine Laune, geboren aus einem Streit, weil du dich eines Nachmittags nicht mehr um sie kümmern willst. Dennoch keimt aus diesem Gedanken schnell die Sehnsucht nach den glücklichen Zeiten, als es nichts gab außer dir und die Liebe deiner Mutter.
    Es geht viel einfacher, als du gedacht hast. Lediglich das Fenster musst du offen stehen lassen. Alles andere erledigt sich von selbst.
    Sie schreit nicht, als sie aus zwanzig Metern zu Boden stürzt, auch nicht, als ihr Körper auf den Pflastersteinen vor dem Wohnblock aufschlägt. Doch die schönen Zeiten, bevor es deine Schwester gab, kommen nicht zurück. Jetzt hasst dich deine Mutter für das, was du getan hast. Es war schon zu spät. Du hättest es viel früher tun sollen.
    ***
    Mittwoch, 21. Dezember
    Treidler versuchte zum dritten Mal, Anita Schober klarzumachen, dass er nichts weiter als den Bericht der Rechtsmedizin in Papierform haben wollte. Stattdessen fiel andauernd das Wort »Account«, dessen Bedeutung sich ihm nur langsam erschloss. Im Grunde wollte er überhaupt nichts von einem Account wissen. Aber offensichtlich gab es genau damit ein größeres Problem.
    Anita Schober nahm einen neuen Anlauf. »Herr Hauptkommissar, bitte verstehen Sie doch. Das hat der Doktor an Ihren Account gesendet, nicht an meinen. Ich komme da beim besten Willen nicht ran.« Sie hüpfte von einem Fuß auf den anderen, sodass das grün-weiße Dirndl um ihre massigen Hüften schaukelte wie ein Kreisel.
    »Account, Account«, echote Treidler. »Scheiß-Account. Kann denn hier niemand mehr Deutsch?«
    »Ein Account, damit ist in diesem Fall Ihr elektronischer Briefkasten gemeint«, mischte sich Melchior ein, die hinter ihm auftauchte. »Stimmt doch, Frau Schober?«
    Die beeilte sich zu nicken.
    Treidler fuhr herum. »Das passt ja prima, dass Sie kommen. Sorgen Sie einfach dafür, dass ich den verfluchten Bericht der Rechtsmedizin lesen kann.«
    »Morgen, Treidler«, entgegnete Melchior betont fröhlich. »Mal wieder gute Laune, was?«
    »Gute Laune, gute Laune. Scheiße! Warum wollen eigentlich immer alle über meine Laune reden? Ich hab heute Morgen überhaupt keine –«
    »Das ist nicht zu übersehen. Aber möglicherweise liegt das ja an Ihnen«, unterbrach ihn Melchior und stapfte davon.
    Treidler diskutierte noch eine Zeit lang mit Schober über Sinn und Zuverlässigkeit von E-Mails, als plötzlich der Drucker im Sekretariat anfing, Blätter auszuspucken.
    Fast im gleichen Moment tauchte Melchior wieder neben ihm auf. »Da ist Ihr Bericht.«
    »Was, so schnell?«
    Melchior verzog ihr Gesicht zu einem breiten Grinsen. »Das war nicht unbedingt eine große Herausforderung.«
    »Und? Wie haben Sie das angestellt?«
    »Ich habe Karchenberg angerufen.«
    »Ja und?«
    Wieder lächelte sie. »Dann habe ich ihn gebeten, die E-Mail auch an meinen Account zu senden.« Natürlich konnte sich Melchior nicht verkneifen, das Unwort des Morgens so weit wie möglich in die Länge zu ziehen. »Und dann habe ich den angehängten Bericht auf dem Drucker hier ausgedruckt. So macht man das bei uns in der Stadt.«
    Treidler hob die Augenbrauen, verkniff sich jedoch einen Kommentar. Kurzerhand zog er den dünnen Papierstapel aus dem Ausgabeschacht des Druckers und verschwand in sein Büro. Er ließ sich auf seinen Bürostuhl fallen. Vielleicht verstand er tatsächlich zu wenig von Computern. Er beschloss, die Antwort darauf zu verschieben und sortierte stattdessen die Blätter.
    Der Bericht umfasste insgesamt zwölf Seiten. Treidler überflog die Einführung mit dem üblichen Blabla und blätterte weiter. Sogleich fielen ihm die zwei Fotos ins Auge. Von beiden Seiten zeigten sie eine silberne Münze von der Größe eines alten Fünfmarkstückes. Allerdings handelte es sich nicht um ein Fünfmarkstück. Er betrachtete die Fotos genauer und erkannte eine Art Wappenvogel, vermutlich einen Adler, der auf einem Kreis aus stilisierten Blättern thronte. Er stutzte. In diesem Kranz gab es ein weiteres Symbol: ein Hakenkreuz. Demnach stammte die Münze aus dem Dritten Reich. Der Fall um den Toten im Florheimer Bushaltehäuschen wurde immer mysteriöser.
    Die andere Seite der Münze zeigte eine Kirche. In die große, freie Fläche um das Gebäude herum hatte jemand etwas eingeritzt. Ein paar krakelige Buchstaben,

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