Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schwarzer Neckar

Schwarzer Neckar

Titel: Schwarzer Neckar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thilo Scheurer
Vom Netzwerk:
womöglich ein ganzes Wort. Doch auf dem kleinen Foto konnte er nicht erkennen, wie es lautete. Treidlers Blick blieb an der Bildunterschrift hängen: Fünf-Reichsmark-Münze in Oesophagus. Mit der Herkunft lag er schon mal richtig. Aber was zum Teufel bedeutete »Oesophagus«? Er kannte den Begriff, doch im Moment verband er nichts Konkretes damit.
    Treidler las weiter und stolperte über das Wort »Gliom«. Und im Gegensatz zu vorhin wusste er, dass er diesen Ausdruck noch nie gehört hatte. Falls es eine Petition geben sollte, in der sämtliche Gerichtsmediziner gezwungen wurden, nur deutsche Wörter zu verwenden, würde er diese sofort unterschreiben. Er hatte genug von diesen lateinischen Fachbegriffen. Warum sollte er sich mit diesem ganzen Scheiß abmühen, wenn er es einfacher haben könnte? Er beschloss, wie immer vorzugehen: Bericht überfliegen und dann erklären lassen.
    Treidler nahm den Telefonhörer zur Hand und wählte Karchenbergs Nummer. Der Doktor würde ihm sicherlich eine kurze Zusammenfassung geben – so gern, wie er sich selbst reden hörte.
    Am anderen Ende der Leitung klingelte es, und nach dem dritten Rufzeichen nahm seine Sekretärin das Gespräch entgegen. Sie vermittelte ihn weiter.
    »Warum ruft mich heute Morgen andauernd die Kriminalpolizei an?«, polterte Karchenberg los. »Zuerst Ihre neue Kollegin und dann Sie. Ich habe anderes zu tun, als euch ständig Händchen zu halten.«
    »Mir liegt im Moment Ihr Bericht vor«, begann Treidler.
    »Ja und?« Karchenbergs Tonfall signalisierte deutlichen Unwillen, das Gespräch fortzuführen. »Haben Sie ihn wenigstens bis zum Schluss gelesen?«
    »Natürlich habe ich alles gelesen«, log Treidler, um die Stimmung seines Gesprächspartners anzuheben.
    »Wissen Sie, Treidler, Sie sind einer der wenigen, die sich die Zeit dafür nehmen. Die meisten Ihrer Kollegen lesen meine Berichte doch gar nicht. Keine Ahnung, warum.« Er seufzte. »Trotzdem muss ich die Dinger immer schreiben.«
    Treidler pflichtete ihm bei, wenngleich er sehr wohl ahnte, weshalb niemand die Berichte las. »Es gibt da noch ein paar Unklarheiten.«
    »Welcher Art?«
    »Was ist ein …«, Treidler blätterte zu der betreffenden Stelle zurück, »… ein Oesophagus?«
    Bevor er das Wort ganz ausgesprochen hatte, hörte er einen weiteren Seufzer am anderen Ende der Leitung. Doch diesmal klang der Laut anders als zuvor. Es hörte sich an, als wollte Karchenberg sein Unverständnis über Treidlers mangelnde Kenntnis der menschlichen Anatomie ausdrücken. »Das ist der Teil des Verdauungstraktes, der dem Transport der Nahrung vom Rachenraum in den Magen dient.« Er lachte kurz auf. »Man kann auch Speiseröhre dazu sagen.«
    Treidler glaubte, sich verhört zu haben. »Wollen Sie damit andeuten, dass sich dieses Geldstück in der Speiseröhre des Toten befand?«
    »Glauben Sie vielleicht, dass ich es sonst geschrieben hätte? Und um Ihre nächste Frage gleich mit zu beantworten: Der Mann hat die Münze nicht freiwillig gegessen. Sie wurde ihm nach dem Tod in den Mund gelegt und ist vermutlich durch den Transport des Körpers weiter nach hinten gerutscht. Ansonsten hätte ich das Geldstück schon bei der äußeren Leichenschau gefunden.«
    Treidler atmete aus. Wer richtete einen alten Mann aus Tadschikistan mit einem aufgesetzten Kopfschuss hin und stopfte ihm anschließend eine alte Fünf-Reichsmark-Münze in den Mund? Dazu in einem Kaff, das niemand kannte, der weiter als zehn Kilometer entfernt wohnte.
    »Wo ist die Münze jetzt?«, fragte er.
    »Die habe ich schon rübergeben lassen. Sollen sich eure Kriminaltechniker damit auseinandersetzen. Sonst noch was?«
    »Ja, weiter hinten …« Treidler blätterte in dem Bericht, bis er die gewünschte Stelle fand. »Hier schreiben Sie von einem Glioblastom. Was genau ist das … ein Glioblastom?«
    »Ein Glioblastom ist ein Gliom. Und bei unserem Kunden handelt es sich um ein malignes Gliom, wie Sie sicherlich meinem Bericht entnommen haben.«
    »Ja, natürlich«, log Treidler ein weiteres Mal. Er hatte keine Ahnung, was malignes Gliom bedeutete. Irgendetwas Bösartiges, so viel konnte er sich zusammenreimen. Fieberhaft suchte er nach einer unverfänglichen Gegenfrage, um noch mehr aus Karchenberg herauszuholen. »Welche Auswirkungen hat das auf unseren Fall?«
    »Welche Auswirkungen, welche Auswirkungen …« Karchenberg seufzte erneut auf. Treidler rechnete jeden Augenblick mit einer handfesten Zurechtweisung. Stattdessen gab sein

Weitere Kostenlose Bücher