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Schwarzer Neckar

Schwarzer Neckar

Titel: Schwarzer Neckar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thilo Scheurer
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war und wartete, bis er zu ihr ins Bett gekrochen kam. »Bist du endlich bei mir?« Oft war sie schon wieder eingeschlafen, bevor er ihr antworten konnte.
    Als einziges Licht brannte rechts neben dem Bett eine umgestürzte Nachttischlampe. Im Raum herrschte ungewöhnliche Unordnung. Die umherliegenden Gegenstände zeugten von einem Kampf. Bäuchlings auf dem Bett lag der leblose Körper einer Frau. Sie war bekleidet mit einem Nachthemd, das nur bis zur Taille reichte. Ihr Slip hing in den Kniekehlen. Gesäß und Beine waren entblößt. In ihrer rechten Hand hielt sie ein schnurloses Telefon. POM Duffner ging davon aus, dass die Frau nicht mehr lebte. Trotzdem versuchte er, am linken Handgelenk einen Puls zu ertasten – ohne Erfolg.
    Es war, als ob das Gewicht des Papiers seinen Arm nach unten zog. Treidler starrte ins Nichts, die Blätter entglitten ihm.
    Er konnte nicht sagen, wie lange er schon auf dem Sessel kauerte. Er versuchte, sich zusammenzureißen. Schließlich umfasste das Protokoll noch zwei weitere Seiten. Zwei Seiten, deren Inhalt für ihn nicht einfacher werden würde. Duffner und Meyer hatten ihn kurz danach auf dem Boden der Küche gefunden – bewusstlos, aber nahezu unverletzt.
    Als er sich aufrichten wollte, fiel sein Blick auf ein Blatt des Protokolls. Aus irgendeinem Grund war es nicht auf dem Boden bei den anderen gelandet, sondern lag auf seinen Oberschenkeln. Treidler blinzelte mühsam, während er versuchte, die verschwommenen Buchstaben zu fixieren. Nur langsam begannen sich Worte zu formen. Die Worte wiederum bildeten Sätze, und Treidler musste den Absatz ein weiteres Mal lesen, um das Ungewöhnliche dahinter zu erkennen. Erneut blieben seine Augen an der gleichen Stelle hängen.
    … zwei angetrunkene Gläser auf dem Wohnzimmertisch, eines davon ein Sektglas.
    Treidler stutzte und las die letzten Worte ein drittes Mal.
    … eines davon ein Sektglas.
    Dass es sich um ein Sektglas gehandelt hatte, war bei den Ermittlungen und während der Verhandlung unerwähnt geblieben. Es war stets nur von »Gläsern« die Rede gewesen. Dem Umstand hatte er noch bis vor einem Moment keinerlei Bedeutung beigemessen. Doch diese Information ließ den vermuteten Tatverlauf in einem anderen Licht erscheinen. Niemals hätte Lisa Alkohol getrunken, schließlich erwartete sie ein Kind. Und er selbst hasste Sekt. Wem also gehörte das Glas? Ihrem Mörder? Sehr wahrscheinlich. Das jedoch würde darauf hindeuten, dass sie ihn gekannt haben musste – gut gekannt sogar.
    ***
    »Rufnummer unterdrückt« leuchtete im Display auf. Die Anzeige verhieß nicht Gutes. In neun von zehn Fällen verlangte jemand nach ihr, den Carina Melchior am liebsten vergessen wollte. Sie ließ es zweimal mehr klingeln als nötig und drückte erst dann den Knopf, um das Gespräch entgegenzunehmen. Es wäre sinnlos, sich nicht zu melden. Gottlieb Burghardt würde es den ganzen Abend weiter versuchen.
    »Ja«, meldete sie sich schroff und stellte sich auf die abfällige Stimme Burghardts ein, der seit Jahren ihr Vorgesetzter beim Dezernat war.
    »Gibt es schon etwas Neues?«, dröhnte es ihr wie befürchtet entgegen.
    »Nee«, gab Melchior zurück und lauschte mit einem zufriedenen Gefühl dem unerwartet langen Rauschen in der Leitung.
    »Haben Sie denn überhaupt schon etwas unternommen?«
    »’ne janze Menge«, antwortete sie in breitestem Berliner Dialekt. Sie wusste genau, dass Burghardt darauf verärgert reagierte. Sein reizbares und zu Wutausbrüchen neigendes Wesen gehörte zu den wenigen Schwächen, die er sich erlaubte.
    »Das ist kein verfluchter Berliner Hinterhof.« Prompt schlug ihr seine ungehaltene Reaktion entgegen. »Reißen Sie sich zusammen, sonst –«
    »Sonst was?«, unterbrach Melchior ihn amüsiert. »Ziehen Sie mich dann ab?« Bei den Worten stellte sie sich den Gesichtsausdruck des gelfrisierten und dreitagebärtigen Schönlings am anderen Ende der Leitung vor. Der karrieregeile Burghardt presste wahrscheinlich genau in diesem Moment die Lippen zu einem schmalen Strich zusammen, um nicht loszubrüllen. Vermutlich hatte er sich gleich wieder unter Kontrolle. Doch Melchior wollte diesen Augenblick nicht abwarten und drückte das Gespräch kurzerhand weg.
    So lange, wie sie sich erhoffte, dauerte Burghardts Entspannungsphase nicht. Das Telefon signalisierte gleich darauf abermals ein ankommendes Gespräch mit unterdrückter Rufnummer.
    »Melchior«, polterte ihr Burghardt sofort entgegen, nachdem sie ihn bestimmt ein

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