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Schwarzer Neckar

Schwarzer Neckar

Titel: Schwarzer Neckar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thilo Scheurer
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trug. Barfuß, in verschlissenen Filzpantoffeln stand der Mann leicht nach vorn gebeugt. Mit Fingern dick wie Bockwürste umschloss seine schaufelartige Pranke den Griff eines Weidenstocks, der sich unter seinem Gewicht verbog. Treidler schob die groben Hände auf die jahrelange schwere Arbeit auf dem Hof. Trotz der schiefen Körperhaltung umgab Anton Novak etwas Starkes, Standhaftes, als ob ihn nichts erschüttern könnte. In seinem Gesicht zeigte sich eine Mischung von Argwohn und Unwillen. Und für einen Augenblick dachte Treidler darüber nach, ob er sich für seine Drohung entschuldigen sollte.
    »Was isch? Kann ich nit mol in Ruh a Bier trinka, ohne dass d’Polizei Türa ei’tritt?«, polterte der alte Mann los. Treidler verwarf sofort jeden Gedanken an eine Entschuldigung.
    »Herr Novak, Anton Novak?« Melchior versuchte, ihn mit einer Handbewegung zu beruhigen. »Dürfen wir reinkommen?«
    »Nein.« Seine knappe Antwort ließ keinen Spielraum für Interpretation.
    Melchior hob die Augenbrauen. »Es wäre aber besser …«
    »Nein!«
    »Wenn Sie nicht wollen«, entgegnete Melchior. Sie schien einen Moment lang nicht zu wissen, was sie sagen sollte. Schließlich fügte sie hinzu: »Wir müssen Ihnen eine traurige Nachricht überbringen …«
    »Pah – was kenned ihr mir scho überbringa?«, fuhr Anton Novak ihr ein weiteres Mal über den Mund. Er nuschelte so stark, dass er die Hälfte der Silben verschluckte. »Dass der Tote mei Bruder isch? Glaubed ihr vielleicht, ich brauch noch so viela Jahr zwei u’fähige Rottweiler Polizista, um des z’wissa?« Die wirren Haare wirbelten im Takt seiner hastigen Kopfbewegungen und entblößten den unbehaarten Teil des Schädels. »Des«, er spuckte das Wort förmlich aus, »des woiss ich scho seit Medig.«
    »Er weiß schon seit Montag, dass der Tote sein Bruder ist. Der Rest ist nicht so wichtig«, übersetzte Treidler, als er Melchiors verdutzten Gesichtsausdruck bemerkte.
    »Von wem wissen Sie das?«, fragte sie.
    »Ihr sind d’Polizei. Findet’s ’raus.«
    »Das schon.« Treidler nickte. »Aber wir sind keine Hellseher. Also, von wem wissen Sie es?«
    Anton Novak blickte ein paarmal zwischen den beiden Kommissaren hin und her. »Des woiss doch jeder im Dorf.«
    Damit wandte er sich ab und wollte die Tür zuschlagen. Treidler konnte gerade noch seinen Fuß dazwischenstellen. »Was soll das?«, knurrte er.
    Der Alte reckte sein Kinn. »Ich will mei Ruh’.«
    »Herr Novak …« Melchior versuchte es erneut mit sanftem Zureden. »Wir haben einen Mord aufzuklären – den Mord an Ihrem Bruder. Da können wir Sie nicht einfach in Ruhe lassen. Verstehen Sie das?«
    »Nein. Früher, äls no Zeit war, hond ihr euch au nit d’rum kümmert. Jetzt isch z’spät. Für mi isch der Johann scho seit über fuffz’g Jahr tot. Ich will von alledem nix mei wissa. Können Sie das verstehen? «
    Treidler hatte Mühe, die Worte des Alten für Melchior zu übersetzen.
    »Das tut mir aufrichtig leid für Sie«, gab Melchior zurück. »Aber mein Kollege und ich waren 1945 noch nicht einmal geboren. Ich muss mir Ihre Vorwürfe nicht anhören.«
    »Schwätz bloß koi Scheiß an mi nah, Mädle!«
    »Mir platzt gleich der Kragen«, mischte sich Treidler ein und erntete prompt einen vorwurfsvollen Blick von Melchior. Trotzdem fuhr er im gleichen aggressiven Tonfall fort: »Ich habe meine Zeit nicht gestohlen, und Ihre Befindlichkeiten gegenüber der damaligen Rottweiler Polizei interessieren mich einen Scheißdreck. Wir haben lediglich ein paar Fragen.«
    Anton Novak beäugte ihn feindselig. Hinter seiner Stirn schien es zu arbeiten. »Ich blieb hier standa, ihr dort«, brummte er schließlich. »Los, frag – und nimm verdammt no mol doin Fuß aus meiner Tür.«
    Treidler seufzte. »Wann haben Sie Ihren Bruder das letzte Mal gesehen?«
    »Am achtzehnta Juli fünfavierzig«, gab Novak wie aus der Pistole geschossen zurück.
    »Am 18. Juli 1945? Woher wissen Sie das so genau? Das ist weit über sechzig Jahre her.«
    »Ich woiss es ebba.«
    Treidler mochte diese verfluchten Sturköpfe vom Dorf nicht. »Haben Sie irgendwann später von ihm gehört?«
    »Nein.«
    »Sonst wer?«
    »Sonst wer was?«
    »Ob jemand anderes von ihm gehört hat? Vielleicht Ihre Eltern oder irgendwer im Dorf?«
    »Frag doch die.« Die Miene Novaks verdüsterte sich. »Und lass meine Eltern do raus.«
    »Wir wissen, dass Ihre Eltern früh gestorben sind«, erklärte Melchior. »Aber …«
    »Ihr?« Die Lippen des

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