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Schwarzer Neckar

Schwarzer Neckar

Titel: Schwarzer Neckar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thilo Scheurer
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erreichten und immer noch kein Gebäude mit der Nummer 58 zu sehen war.
    Als gut einen Kilometer weiter die ersten Häuser des nächsten Dorfes am Horizont auftauchten, wendete er den Mercedes und fuhr mit verminderter Geschwindigkeit zurück nach Florheim. Kurze Zeit später entdeckte er auf der linken Seite einen schmalen, schlecht geräumten Weg, der vielleicht zweihundert Meter weit bis hinauf zum Rand des Waldes führte.
    Etwas zu spät lenkte Treidler auf den Weg ein und konnte gerade noch verhindern, dass das Heck des Mercedes ausbrach und auf einen Schneehaufen prallte. Freilich reichte das Schlingern des Fahrzeuges aus, dass Melchior auf dem Beifahrersitz erschrocken die Luft einsog.
    »Entspannen Sie sich, Melchior. Ich habe ein paar Sandsäcke im Kofferraum.« Seit mehr als zwei Jahren fuhr er die Säcke nun schon mit sich herum. Das Gewicht hatte er damals wegen Lisa in den Kofferraum gelegt, nachdem sie sich geweigert hatte, im Winter bei eisglatten Straßen mit dem Mercedes zu fahren.
    »Treidler«, schrie Melchior plötzlich. »Passen Sie doch auf!«
    Erschrocken fuhr er hoch und konnte nur mit entschlossenem Gegenlenken den Mercedes vor dem Hineinschlittern in den Straßengraben bewahren. Sofort begann das Fahrzeug zu schleudern, sodass er alle Mühe hatte, es wieder unter Kontrolle zu bringen. Schließlich gelang es ihm, und er atmete erleichtert durch.
    »Was soll das?«, rief Melchior aus und hielt sich immer noch mit beiden Händen am Türgriff fest.
    »Was soll schon sein?«, hielt er ihr in der gleichen Lautstärke entgegen. »Nichts.«
    »Das sehe ich.« Allmählich entkrampften sich Melchiors Gesichtszüge wieder.
    »Lassen Sie mich in Ruhe«, blaffte Treidler.
    »Das mache ich. Aber nur, wenn ich nicht danebensitzen muss, während Sie Auto fahren.«
    »Tun Sie, was Sie nicht lassen können.«
    »Das haben Sie heute Morgen schon gesagt.«
    »Ja klar, ich habe es auch schon heute Morgen so gemeint.« Er bremste hart und brachte den Mercedes auf der freigeräumten Stelle vor einem kleinen, einstöckigen Holzhäuschen mit weinroten Fensterläden zum Stehen. Es sah aus wie das Gartenhaus seiner Großmutter im städtischen Schrebergarten. Der First des Daches reichte nur wenig über die unterste Astreihe der mächtigen Bäume, die direkt dahinter in den Himmel ragten. Nur eine dünne Rauchfahne, die fast senkrecht auf dem Kamin stand, zeugte davon, dass trotz der abgeschiedenen Lage jemand hier wohnte.
    »Mann, Treidler, was ist nur los mit Ihnen? Vor was laufen Sie davon?«
    Er hob die Achseln. »Vor dem, wovor alle davonlaufen.«
    »Und was soll das sein?«
    Er drehte den Zündschlüssel um und wartete, bis der Motor zur Ruhe gekommen war. Dann wandte er den Kopf zu Melchior und sah in ihre dunklen Augen. »Die Vergangenheit? Das Leben? Die Zukunft? Suchen Sie sich etwas aus.«
    »Sparen Sie sich Ihre Ironie. Sie können nicht ewig davonlaufen …«
    »Vielleicht nicht. Aber ich brauche gewiss niemanden, der mir das sagt. Ich komme ganz gut allein zurecht.« Treidler stieg aus und schlug die Fahrertür zu. Die Karosserie des 190er-Mercedes schwankte in den Federn hin und her. »Sie kümmern sich um Ihren Scheiß und ich mich um meinen. Da haben gerade Sie noch genug zu tun.«
    Auch Melchior war inzwischen ausgestiegen. »Was wollen Sie denn damit andeuten?«
    »Hören Sie doch auf mit Ihrem moralischen Getue. Aus welchem Grund wird eine Hauptkommissarin aus der Hauptstadt in ein Kaff wie Rottweil versetzt? Der Hauptgewinn der Lotterie auf dem letzten Polizeiball wird es wohl nicht gewesen sein. Also, was ist das Päckchen, das Sie tragen müssen?«
    Melchior wandte sich ab und antwortete nicht. Sollte sie ihn doch mit Missachtung strafen. Er wollte kein Mitgefühl, schon gar nicht von ihr.
    Die Haustür ging auf, noch bevor Treidler überhaupt die Klingel gedrückt hatte.
    »Wollen Sie zu mir oder zu meinem Mann?« Die alte Edda blinzelte ihn von unten herauf an. Ihr silbergraues Haar war perfekt frisiert. Zu ihrer hellen Bluse trug sie einen blau-grün karierten Faltenrock. An einer goldenen Kette um ihren Hals baumelte eine Brille mit spitz zulaufenden Gläsern. Trotz ihres Alters, sie musste weit jenseits der achtzig sein, hatte sie ihre Augen mit himmelblauem Lidschatten und Wimperntusche geschminkt. Sie lächelte und entblößte unter den hellrot bemalten Lippen zwei unnatürlich weiß schimmernde Zahnreihen. Schließlich sagte sie in dieser singenden Stimme, die Treidler schon bei ihrer

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