Schwarzer Neckar
Drahtmatten und Wellblech erbaute Hütte. Das Schönste an dem Schuppen stellte ein weißes Firmenschild dar, das die drei farbigen Lettern › Z t G ‹ als Abkürzung des Firmennamens zeigte. Durch das Gitter erkannte Treidler Dutzende Gasflaschen in verschiedenen Größen und Farben.
Der kleine Verkaufsraum mit rotbraunen Bodenfliesen verfügte nur über eine spartanische Einrichtung. Sie bestand gerade mal aus einem grauen Schreibtisch mit Bürostuhl und einem Regalbrett, das sich unter zahllosen Ordnern bog. Hinter dem Schreibtisch saß ein Junge von vielleicht sechzehn oder siebzehn Jahren, der es mit der Reinlichkeit seiner Arbeitskleidung augenscheinlich nicht so ernst nahm. Die langen Haare versuchte er unter einer dunklen Schildkappe mit dem Werbeaufdruck einer lokalen Zeitung zu verbergen. Während er irgendwelche Zahlen vor sich hin murmelte, glitten Geldscheine durch seine schmutzigen Hände. Nach jedem zweiten Schein leckte er die Fingerkuppen und präsentierte dabei ungeniert dicke schwarze Ränder unter den Nägeln. Offenbar war er damit beschäftigt, die tägliche Abrechnung fertigzustellen.
»Sie wollen aber kein Gas mehr, oder?«, brummte er ohne aufzuschauen. »Wir schließen nämlich gleich.«
»Nein«, entgegnete Treidler. »Ich bin von der Kriminalpolizei Rottweil.« Er verzichtete darauf, seinen Dienstausweis vorzuzeigen.
»Kriminalpolizei?« Der Junge hielt abrupt mit der Zählerei inne. Neugierig hob er sein pickeliges Gesicht. »Was wollen Sie?«, fragte er und wandte sich sogleich wieder den Geldscheinen zu. »Ich habe um drei Feierabend, und morgen ist Heiligabend.«
Treidler seufzte. Er hatte nicht den Hauch einer Idee, was er hier draußen überhaupt wollte. »Wie viele Kunden haben Sie so – sagen wir im Monat?«, erkundigte er sich schließlich.
»Keine Ahnung«, lautete die knappe Antwort.
»Gibt es keine Kundenliste?«
»Nicht direkt. Aber schauen Sie auf die Reihe hinter mir. Da stehen über zwanzig Aktenordner – für jeden Tag einer. Und jeder davon ist voll mit Gasverkäufen.« Er schaute ein weiteres Mal auf und deutete ein Lächeln an. »Sogar Ihre Kollegen kaufen bei uns.«
»Das müssen Hunderte sein …«, stieß Treidler aus.
»Vermutlich ja.« Das Grinsen breitete sich über das gesamte Gesicht des Jungen aus.
Es würde Wochen, wenn nicht gar Monate dauern, alle Adressen darin zu überprüfen. Außerdem war er auf sich allein gestellt und wusste immer noch nicht, nach was er suchen sollte. Treidler musste sich eingestehen, dass die Spur hier in einer Sackgasse endete. »Gut.« Er räusperte sich verlegen. »Meine Kollegen werden sich bei Ihnen melden.« Er griff nach einer Visitenkarte auf dem Schreibtisch und betrachtete sie. »Hat das etwas Besonderes zu bedeuten?«
»Was?«
»Die unterschiedlichen Farben der drei Anfangsbuchstaben im Firmennamen.«
»Die Karten hat der Chef gemacht.«
»Keine Idee?«
Der Junge zuckte mit den Schultern. »Gasflaschen haben unterschiedliche Farben je nach Inhalt. Grün steht für Stickstoff, Blau für Sauerstoff und so weiter. Vielleicht hat er das damit gemeint.«
Treidler nickte. »Ich nehme die hier mal mit.« Damit wandte er sich zum Gehen und ließ einen verdutzt dreinschauenden Angestellten zurück.
Die Uhr im Wagen zeigte Viertel vor drei. Was konnte er noch tun? Den Bericht zum Mordfall Novak schreiben? Nein, im Büro träfe er nur Melchior an. Und das wollte er sich heute nicht mehr zumuten. Vor dem Prozess war er oft an den Freitagnachmittagen zum Schießtraining gegangen. Vielleicht war es keine gute Idee, nach all den Jahren einfach mal wieder dort aufzukreuzen. Doch je länger er darüber nachdachte, desto mehr Gefallen fand er daran. So konnte er immerhin Melchior bis nach Weihnachten aus dem Weg gehen. Und sofern sie noch einen Hauch Anstand besaß, hatte sie nach den Feiertagen ein Versetzungsgesuch eingereicht.
Seine Pistole lag noch zu Hause, und so fuhr Treidler an seiner Wohnung vorbei. Es dauerte eine ganze Weile, bis er sie unter dem Bett in einem Haufen Kleidungsstücke fand. Vermutlich müsste er die Waffe sofort abgeben, falls jemand auf der Dienststelle von diesem Aufbewahrungsort erfuhr. Er schwor sich, zukünftig besser darauf aufzupassen. Bevor er das Haus verließ, steckte er noch das Handy ein. Er wollte nicht schon wieder in einer brenzligen Situation ohne Telefon dastehen.
Nach einem Umweg über den Autoschalter des nahen McDonalds und zwei Hamburgern während der Fahrt steuerte
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